Seit mehr als 90 Jahren immer die selbe Leier

Das Irrlicht der sogenannten Wirtschaftsdemokratie

 

Im Oktober dieses Jahres findet in Nürnberg der 24. Ordentliche Gewerkschaftstag der IG Metall statt. Dabei geht es nicht zuletzt um die Politik der Gewerkschaft in den kommenden vier Jahren. Da die IG Metall die größte Einzelgewerkschaft in der BRD ist und für die bundesdeutschen Schlüsselindustrien zuständig ist, kann davon ausgegangen werden, dass deren Beschlüsse und Politik auch für alle anderen DGB-Gewerkschaften richtungsweisend sind. Daher ist der Gewerkschaftstag auch für uns von besonderem Interesse.

Erstmals werden zur Vorbereitung des Kongresses in stärkerem Maße auch die Mitglieder mit einbezogen. Der erste Vorsitzende der IGM, Jörg Hofmann dazu im Mitgliedermagazin metallzeitung: „Bei der IG Metall wird Beteiligung groß geschrieben. Auch wenn es darum geht, den Kurs der nächsten vier Jahre zu bestimmen.“

Mit einem Debattenpapier soll das erreicht werden. In der Dezemberausgabe des Mitgliedermagazins wurde ein solches Papier veröffentlicht. In mehreren Blöcken werden die wichtigsten gesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Problemfelder dargestellt. Dazu Hofmann: „Wir haben uns gefragt, was wir in unseren zentralen Handlungsfeldern erreicht haben, in welche Richtung wir gehen müssen, wo wir handeln und welche Themen wir besonders in den Blick nehmen sollten. Und dazu stellen wir uns und euch Fragen.“

In dem Debattenpapier wird zuerst grundsätzlich auf die politische aktuelle Situation und den daraus resultierenden Perspektiven eingegangen.

Richtig wird festgestellt: „Vor uns liegen gewaltige Veränderungen. Es geht um einen grundlegenden Wandel. Um nichts weniger als um eine Transformation unserer Wirtschaft, unserer Lebens- und Arbeitswelt. Es geht um die Zukunft der industriellen Branchen am Standort Deutschland, es geht um die Zukunft der Beschäftigten in der Industrie und des Handwerks“.

Das ist allerdings sehr zurückhaltend ausgedrückt. Die IG Metall wird nicht nur durch die die Rationalisierungswelle, der sogenannten Industrie 4.0 Probleme bekommen sondern auch durch die in der Automobilindustrie anstehende Umstellung der Motorentechnik. Die Verdrängung des Verbrennungsmotors durch den Elektromotor, wird Arbeitsplätze, ja ganze Produktionsstandorte kosten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg geht mittelfristig alleine in den Werken der Automobilindustrie davon aus, dass durch die Einführung von Elektromotoren mehr als 110.000 Arbeitsplätzen wegfallen. Die zunehmende Digitalisierung der Industrieproduktion ist dabei noch nicht berücksichtigt. Die mögliche Anzahl ist heute allerdings auch noch nicht eindeutig quantifizierbar, doch sie wird beachtlich sein.

Diese Rationalisierungs- und Umstrukturierungskeule wird die IG Metall also gerade dort treffen wo sie heute mitgliederstark und durchsetzungsfähig ist; in den Großbetrieben der Automobilhersteller und deren Zulieferer. Daher müssten alle Alarmglocken läuten und die Organisation in den Widerstandsmodus gefahren werden. Stattdessen spricht das Debattenpapier, also der Vorstand, davon, dass „auch in der Transformation faire Bedingungen für alle Mitglieder- und Beschäftigtengruppen“ gelten müssten. An einer anderen Textstelle des Debattenpapiers wird festgestellt: „Die IG Metall hat in diesem Strukturwandel klare Ziele. Sie will Beschäftigung und Standorte erhalten, Mitbestimmung ausbauen und für die Herausforderungen nutzen, sie will sichere und interessante Arbeit und gutentlohnte Tätigkeiten.“ Dass sie das will, ist die eine Seite, ob sie dazu in der Lage ist, die andere.

Dann soll schließlich der Sozialstaat nach Auffassung des Vorstandes weiterentwickelt werden. Im Papier wird von einem Sozialstaat 4.0 gesprochen, ohne dass konkreter beschrieben wird, was wir darunter verstehen sollen. Gelingen soll das mit starken, durchsetzungsfähigen Gewerkschaften. Es geht um den Kampf für eine „wirklich demokratische und gerechte Wirtschaftsordnung“. Diese sei, so im Papier, die historische unvollendete Mission der Arbeiterbewegung.

Abgesehen davon, dass die historische Mission der Arbeiterbewegung die Überwindung des Kapitalismus und der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsordnung ist, muss man schon fragen was denn eigentlich eine „wirklich demokratische und gerechte Wirtschaftsordnung“ sein soll. Schon 1928 wurde vom ADGB die Forderung nach der Wirtschaftsdemokratie erhoben.

August Thalheimer ging damals auf diese Frage ein und stellte resümierend fest: „Das also ist des Pudels Kern: die kapitalistischen Vertreter und Sprecher erwarten von dem, was die Gewerkschaftsführer unter ‚Wirtschaftsdemokratie‘ verstehen, keine Bedrohung des Bestandes der kapitalistischen Gesellschaft, sondern eine willige Mitarbeit der Arbeiter an ‚unserer‘, d.h. der kapitalistischen Wirtschaft… für die Arbeiterklasse (ist) die Losung der ‚Wirtschaftsdemokratie‘… ein Irrlicht, das sie noch tiefer in den kapitalistischen Sumpf hineinführt“. Thalheimer stellte fest: unter kapitalistischen Bedingungen kann es keine Demokratie in der Wirtschaft geben. Das galt 1928 und das gilt auch heute noch.

Das beeindruckt aber die heutigen Gewerkschaftsführungen, nicht nur die der IG Metall, wenig. In dem Debattenpapier stellt der IG Metallvorstand dar, was er unter Demokratie und Gerechtigkeit in der Wirtschaft versteht. Nämlich einen fairen und gut regulierten Handel und eine internationale Zusammenarbeit und Kooperation. Es bedarf Regeln zum Schutz von Arbeitnehmer- und Verbraucherinteressen. Das europäische Sozialstaatsmodell muss ausgebaut werden und darf nicht an innerer Schwäche scheitern. Und schließlich soll im Betrieb konsequent mitbestimmt werden und mit den Arbeitgebern „autonom flächendeckende Tarife und Arbeitsbedingungen verhandelt“ werden und somit direkt die Wirtschafts- und Lebensbedingungen gestaltet werden. Also seit mehr als 90 Jahren nichts dazugelernt.

Hier wird, was die Betriebspolitik anbelangt, die heutige Praxis der IG Metall und der Betriebsräte in den Großbetrieben beschrieben. In dem Bereich hat die Gewerkschaft in den zurückliegenden Jahren relativ viel erreicht, hier sind die Arbeitsbedingungen mehr oder weniger gut und die Löhne im Vergleich mit kleinen Betrieben, nicht tarifgebundenen Betrieben und anderen Branchen hoch. Die Folge davon ist, dass der Organisationsgrad in dem Bereich sehr hoch und die Gewerkschaft, wenn notwendig auch handlungsfähig ist. In diesen Betrieben werden die Betriebsräte und die IG Metall von Unternehmerseite nicht bekämpft, sondern man lässt ihnen die Illusion, Einfluss auf Managemententscheidungen zu haben. Zum Dank üben sich die Betriebsräte in ausgeprägter Sozialpartnerschaft und Co-Management. Die vorhandenen Mitbestimmungsrechte werden nicht benutzt um die Klassengegensätze zwischen den Kapitalisten und den abhängig Beschäftigten sichtbar zu machen, sondern um den „sozialen Frieden“ im Betrieb und in der Gesellschaft zu erhalten. August Thalheimer lässt grüßen!

Um aber den „gewaltigen Veränderungen, die vor uns liegen“, wie der Vorstand im Debattenpapier schreibt, etwas entgegenzusetzen, bedarf es einer Arbeiterklasse, die sich ihrer wieder selbst bewusst ist. Es bedarf nicht der Klasse an sich, sondern der Klasse für sich. Diese entsteht aber nicht durch die praktizierte Kooperation mit dem Kapital, wie sie auch in dem Debattenpapier skizziert ist, sondern in der Konfrontation mit demselben. Ansatzpunkte dafür gibt es in allen Betrieben zur Genüge.

Im IG Metallvorstand geht man ja selbst davon aus, dass man auch in den Großbetrieben schwächer wird. Wie will man sich aber dann behaupten und Regelungen, die zugunsten der Beschäftigten wirken durchsetzen. Rechtsfragen sind Machtfragen, wer sollte das nicht besser wissen als die Gewerkschaften. Wenn sich heute Unternehmer kooperationsbereit zeigen, dann tun sie das weil sie das müssen um ungestört ihrer Geschäften nachzukommen. Aber warum sollten sie weiter auf Kooperation setzen, wenn die Gewerkschaften geschwächt sind und in den Belegschaften die Arbeitsplatzangst umgeht?

Dasselbe gilt für den Sozialstaat. Unter kapitalistischen Bedingungen, das haben wir alle vorgeführt bekommen, wird der Sozialstaat nicht ausgebaut, sondern zurückgefahren. Dazu bedarf es nicht einmal akuter Wirtschaftskrisen. Durch die vor uns liegende Umstrukturierung und Digitalisierung der Wirtschaft müssen wir aber, auch wenn wir das heute noch nicht konkret benennen können, mit sehr hohen Arbeitslosenzahlen rechnen. Mit solchen Zahlen, die unter Umständen die heutigen Sozialsysteme an ihre Grenzen bringen. Die politischen Auswirkungen sind heute kaum absehbar. Die Kampfkraft der Gewerkschaften ist, mit dem heute bestehenden Bewusstsein, ihrer Mitglieder unter solchen Bedingungen kaum wachsen. Deshalb bedarf es einer Wende. Die Vorstände der Gewerkschaften, nicht nur der IG Metall sind dazu aktuell nicht in der Lage.

Ob es in Teilen der Mitgliedschaft und Funktionäre zu einem Umdenken kommt, wird die weitere Entwicklung zeigen. Das gilt für die Resonanz auf das Debattenpapier als auch auf die Anträge, die von Mitgliederversammlungen und Delegiertenkonferenzen gestellt werden. Der Annahmeschluss für Anträge ist der 1. Mai des Jahres. Wir werden versuchen, die eingereichten Anträge auszuwerten und darüber an dieser Stelle berichten.