Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiter selbst sein!
Arbeiterstimme
Zeitschrift für marxistische Theorie und Praxis
Die Niederlage der spanischen Republik 1939 war eine Niederlage für die spanische und internationale Arbeiterbewegung und ist bis heute Thema ungezählter Bücher.
Die Aufsätze in dem vorliegenden Buch sind erstmalig in der Arbeiterstimme in den Ausgaben September 1986 bis Oktober 1987 veröffentlicht und später in einer Broschüre zusammengefasst worden.
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Alles wie immer. Und doch wird vieles anders.
Auf den ersten Blick hat sich nichts bewegt. Eine bürgerlich-konservative Koalitionsregierung mit deutlicher parlamentarischer Mehrheit (CSU, Freie Wähler) war sich vor den Wahlen öffentlich einig, die Regierung in derselben Konstellation weiterzuführen. Nach den Wahlen hat diese Koalition eine wesentlich größere parlamentarische Mehrheit und wird weiterregieren. Zwar plustern sich Söder und Aiwanger noch auf und gockeln um die Details, aber das Ergebnis wird der gemeinsame Koalitionsvertrag sein. Inhaltlich trennt beide so wenig, dass es keinen Richtungsstreit geben kann.
Den Unterschied macht das teilweise erratische Verhalten des Parteiführers Aiwanger (FW). Man denke nur zurück an seine Weigerung, sich gegen Corona impfen zu lassen oder an seine merkwürdige Liebe zu Schneekanonen in Bayern, um den hoffnungslosen Wettbewerb mit österreichischen Skigebieten aufzunehmen.
Solche Eskapaden ließ die CSU-Führung in der letzten Legislaturperiode durchgehen, weil sie ihr zu unbedeutend oder auch etwas zu schmuddelig vorkamen. Doch Söders Kalkül, Aiwanger werde sich als der Clown, den er abgab, selbst demontieren, ging nicht auf. Die Umfragen vor den Wahlen wiesen bereits darauf hin, dass die FW ein zumindest gleichbleibend hohes Wahlergebnis einfahren würden, während Söders Ziel, die Mehrheit für die Alleinregierung zurückzugewinnen, Makulatur war. Die FW hatten die lange geübte Praxis der CSU kopiert und auf die Spitze getrieben. Die CSU verstand es, in Berlin in Regierungsverantwortung zu sein und sich gleichzeitig in München als einzige Opposition gegen die Bundespolitik aufzuplustern. Die FW schafften diesen Spagat jetzt innerhalb Bayerns.
Aiwanger ist bayerische Regierung und Opposition in einer Person, sehr zum Gefallen einer kräftig wachsenden Wählerschaft. Deshalb haben ihm die Skandale (Erdinger Rede über das Zurückholen der Demokratie, Flugblattaffäre in der Zeit seines politischen Erwachens) auch nicht geschadet – im Gegenteil. Er repräsentiert für jeden 6. Wähler (m/w/d) die nötige Distanz zum politischen Establishment wie kein anderer.
Diese Hahnenkämpfe im bürgerlichen Lager könnten der Linken eigentlich egal sein. Doch geht es um wesentlich mehr. Der Stimmenzuwachs der FW geht nicht zu Lasten der CSU, die ihr Landesergebnis von 2018 knapp wiederholt. Und der Zuwachs von über 4% geht auch nicht zu Lasten der AfD, die sogar noch stärker als die FW zulegt. Das konservative bis rechtsextreme Lager in Bayern schnellt von etwa 60% vor fünf Jahren auf 70% hoch, wenn man die christlich-grün-konservative ÖDP und die skurrile Bayernpartei (Wahlkampfparole „Los von Berlin“) dazu addiert.
Aufklärerische, gar linke Politik in Bayern war in der Bundesrepublik immer ein Minderheitsunterfangen, sie ist seit über sechzig Jahren weit von einer Regierungsfähigkeit entfernt. Aber 2023 manifestiert sich diese Verlagerung der Gewichte so deutlich wie nie zuvor. Inhaltliche Gründe, etwa der Streit um bayernbezogene Sachthemen spielen keine Rolle. Alles dreht sich – zumindest an der Oberfläche – um das Thema Migration, um das Thema Klimaschutz und damit um die „Verbotskultur“, die Wähler quer durch alle Klassen in Berlin verorten und die sie in Massen ablehnen. Der (virtuelle) Anteil der Ampelparteien in Bayern sinkt von einem knappen Drittel (2018) auf ein Viertel der Wählerstimmen. Und die SPD darf sich allmählich mit der 5%-Hürde vertraut machen, unter der die FDP bereits locker bleibt. Die LINKE selbst nähert sich den Ergebnissen der DKP in den 1970er Jahren an, auch wenn sie für die Politik in Berlin eigentlich nicht haftbar gemacht werden kann. Plakatierte Sachthemen - Pflegedebakel, Wohnungsmangel, Bildungsnot – sowohl der LINKEN als auch, erstaunlicherweise, der SPD bleiben ohne jede Resonanz im Wahlkampf, sie werden im Hinblick auf das eigene Wahlverhalten völlig ignoriert. Die GRÜNEN haben wie die schwarz-braunen Parteien ihre Plakatwerbung auf Portraitaufnahmen im Großformat und inhaltsbefreite Slogans umgestellt. GRÜN etwa titelt „Herz statt Hetze“, was eher zu einem Kardiologenkongress als zu einem Wahlkampf passt.
Die Rechtsentwicklung, die sich im Ergebnis spiegelt, schlägt also nicht nur in den östlichen, ach so DDR-verseuchten Bundesländern zu. Die ununterbrochene demokratische Grunderziehung im Westen immunisiert offenbar doch nicht gegen rechte Politikangebote. Wenn die Faktoren für die Verunsicherung einer sich als Mittelschicht betrachtenden Wählerschaft überhandnehmen und zugleich der Eindruck entsteht, die Politikverantwortlichen seien den Krisen nicht mehr gewachsen, weitet sich das Spektrum der „wählbaren“ Parteien nach rechts. Es ist also nicht so, dass Pflegedebakel, Wohnungsfragen oder Bildungsnot keine Rolle mehr spielen. Die Lösung der multiplen Probleme wird den Regierungsverantwortlichen weniger und weniger zugetraut, das macht rechte, populistische Ansätze so attraktiv.
Eine Besonderheit der Wahlergebnisse soll nicht unter den Tisch fallen. Das Resultat in München weist, vorsichtig formuliert, signifikante Unterschiede zum Landesergebnis auf. So bleiben die GRÜNEN 2023 nur marginal unter ihrem letzten Vergleichsergebnis (fast 31% mit Spitzen von 44% in München-Mitte), die SPD hält ihr schwaches Ergebnis einigermaßen und kommt auf über 12%. Und sogar die FDP überspringt die 5%-Hürde leicht. Selbst die LINKE schneidet deutlich besser als im Landesdurchschnitt ab. Die „Ampel“ kommt, auch wenn sie in München politisch nicht verbunden ist, auf fast 50% und hängt die Rechten (die über 5% zulegen) klar ab.
Gilt also, was über die politische Entwicklung in Bayern gesagt wurde, nicht für die Hauptstadt? Nur zum Teil. Die sozial-grün-liberalen Parteien in München haben eine politische (Erfolgs-)Geschichte über mindestens dreißig Jahre hinter sich. Die Stadt war vor wenigen Jahren noch schuldenfrei, die Gewerbe- und anderen Steuern flossen in Rekordströmen, Firmenansiedlungen und Arbeitsplätze waren kein Problem. Das hat das Klima in der Stadt bestimmt und die Substanz scheint der Mehrheit immer noch groß genug zu sein, da sind Störungen durch bauernaffine Bierzelthelden oder rechte Krakeeler weniger willkommen. Beinahe überflüssig zu erwähnen: Irgendwelche extravaganten Abweichungen vom bürgerlichen Politikbetrieb – Fehlanzeige. Man hat sich also, tolerant, nachhaltig und divers, wie man ist, eingelebt. Noch sind diejenigen, die durch das Raster fallen und sich das Leben in München nicht mehr oder nur unter den erbärmlichsten Bedingungen leisten können, deutlich in der Minderheit. Politisch macht sich die soziale Ungleichheit bisher nicht Luft. Doch spürbare Veränderungen sind auch in der Hauptstadt des „Leben und leben Lassens“ möglich, die bayerische Provinz macht es gerade vor.
he,m 18.10.2023
Zum aktuellen Stand des deutsch-chinesischen Verhältnisses:
Lange hat sie uns auf die Folter gespannt, die Bundesregierung. Das Verhältnis zur VR China werde auf sehr soliden Grundlagen basieren, wenn erst die China-Strategie der Bundesregierung beschlossen und veröffentlicht sei. Dann werden sich die aufgelaufenen Fragen und Probleme lösen und alle wüssten dann, woran sie seien. Selbstverständlich EU-europäisch, nachhaltig und konkurrenzlos billig. So heißt es im Strategiepapier: „Angesichts der erheblichen aktuellen Anforderungen an unsere öffentlichen Haushalte streben wir an, die Aufgaben dieser Strategie ohne zusätzliche Belastung des Bundeshaushalts insgesamt zu bewältigen.“ (S. 9)
Doch kurz zurück zur Genese dieser Strategie. Im „Jahrbuch der Europäischen Integration 2016“ werden von Seiten der EU einige Festlegungen im Verhältnis zu China referiert, die seither als Maßstab der Beziehungen gelten. So wird festgelegt, dass „europäische Interessen nicht ohne die Berücksichtigung der innen- und außenpolitischen Entwicklung Chinas formuliert werden können.“ (S. 364) Weiters werden weltpolitische Ambitionen in die EU-Sicht integriert: “ Aus Sicht des Parlaments solle die Hohe Vertreterin (Außenkommissarin Mogherini) prüfen, wie sich ein bewaffneter Konflikt in der Region auf europäische Interessen auswirken könnte. (…) Einen sicherheitspolitischen Hotspot bildet das Südchinesische Meer.“ (ebd. S. 365) Die inzwischen heiliggesprochene Dreifaltigkeitsformel, die das Verhältnis zur Volksrepublik auf den Punkt bringen soll, existiert seit mindestens vier Jahren: „Die EU-Kommission beschrieb in ihrem Strategischen Ausblick 2019 China erstmals als "Partner, Wettbewerber und Konkurrent." (MERICS, 2022)
Unter diesen Voraussetzungen ist bemerkenswert, dass die ausformulierte Strategie so lange auf sich warten ließ, nachdem sie immer wieder angekündigt wurde. Und der erste Blick auf den Text steigert eher die Verwunderung darüber, was neu sein könnte. Stattdessen begegnen der Leserschaft allbekannte Formeln und Stereotype, eher erinnert die Strategie an eine Fleißarbeit zum Thema „Alles, was schon mal zu China gesagt wurde, egal ob Fakt oder Unterstellung.“ Der Gebrauchswert der Strategie erschließt sich im weiteren Verlauf der Untersuchung aber noch deutlicher.
Weiterlesen: China, Feind und Partner im Wettbewerb. Alles klar?
umstrittene, kritisierte Ergebnisse, bleibende Probleme und notwendige Veränderungen
Die Kritik an den Ergebnissen der Tarifrunden 2022/23, insbesondere des öffentlichen Dienstes (Bund und Kommune) kam erwartbar und postwendend von der „linken Seite“. Beispielhaft sei das Flugblatt/Infoblatt der „Münchner Gewerkschaftslinken“ zitiert, in dem schon in der Überschrift deutlich gemacht, bzw. behauptet wird: „Es wäre mehr drin gewesen!“ Ob Letzteres stimmt, davon später. Richtig ist: „Das Ergebnis des Tarifkampfes im öffentlichen Dienst bedeutet Reallohnverlust!“ Nicht nur im öffentlichen Dienst (betroffen sind 2,9 Millionen Beschäftigte) wäre zu ergänzen. Wie war nun die Forderung, wie das Ergebnis? Gefordert waren 10,5 % tabellenwirksame Entgelterhöhungen, mindestens aber 500 Euro/Monat bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Dem gegenüber steht ein „Schlichtungsvorschlag“ von einem „Inflationsausgleich“ von 4.000 Euro, davon zunächst 1.240 Euro, mit dem Juni-Entgelt ausgezahlt, dann von Juli 2023 bis Februar 2024 monatlich 220 €, die nicht tabellenwirksam sind. Ab März 2024 soll dann auf einen (tabellenwirksamen) Sockelbetrag von 200 Euro, eine Erhöhung von 5,5%, mindestens 340 Euro/Monat kommen. In Geld ausgedrückt hat der Schlichtungsspruch für ausgewählte Tätigkeiten folgende Wirkung:
Die Geltungsdauer eines so gestalteten TV soll zwei Jahre betragen, vom 1. 1. 2023 bis 31.12. 2024. Führende Funktionär*innen von ver.di empfahlen die Annahme des Schlichtungsspruches als Tarifabschluss und „verkaufen“ diesen Spruch als „vernünftigen“ Kompromiss. Und geschichtsvergessen verkündet der ver.di-Vorsitzende Frank Wernecke, dass es sich bei diesem Ergebnis um das höchste Ergebnis in der Geschichte des öffentlichen Dienstes handelt. Dass 1974 unter dem damaligen ÖTV-Vorsitzenden Heinz Kluncker, nach einem dreitägigen Streik vor allem der Müllwerker*innen eine Lohnerhöhung von 11 Prozent durchgesetzt wurde, vergessen und verdrängt? Oder wird so etwas behauptet, weil es damals noch keine ver.di gab, in der die ÖTV aufging? Diese Schönrechnerei und Schönrednerei ist wohl das, was viele Beschäftigte und nicht nur oft selbsternannte Linke auf die „Palme bringt“. „Tue Gutes und rede darüber“, und: „Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg!“ heißt es. Was aber, wenn es nichts Gutes oder einen Erfolg gibt? Ihn herbeireden und herbeischreiben? Mit so einem Vorgehen handelt man sich den Vorwurf der Verlogenheit und Unehrlichkeit ein. Da können die Ergebnisse noch so kompliziert abgefasst sein, wie in zahlreichen TV, rechnen können die Leute und erkennen, dass der Spruch keinen wirklichen Inflationsausgleich bedeutet, geschweige denn die (geringe) Produktivitätssteigerungsrate berücksichtigt, oder gar den jahrelangen Reallohnverlust durch eine „Umverteilungskomponente“ ausgleicht! Was in der Tariftabelle noch einen Inflationsausgleich gerade für die unteren Entgeltgruppen suggeriert, sieht anders aus, wenn eingerechnet wird, dass die tabellenwirksame Entgelterhöhung erst ab März 2024 gilt. Bis dahin gilt noch die alte Tabelle.
Seit Bundeskanzler Scholz im Zusammenhang mit dem 100 Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr von einer „Zeitenwende“ gesprochen hat, erlebt dieses Wort eine Konjunktur. Unter Verweis auf den Krieg in der Ukraine wird jetzt für immer mehr Bereiche eine „Zeitenwende“ diagnostiziert.
Was immer man von diesem Schlagwort hält, der Ukraine-Krieg ist ohne Zweifel eine Zäsur, politisch und ökonomisch. Deutschland ist aus mehreren Gründen von dieser Zäsur besonders betroffen. Im folgenden soll deshalb versucht werden, die direkten und indirekten ökonomischen Folgen des Ukraine-Krieges etwas genauer zu untersuchen.
Der Fokus liegt dabei nicht auf dem kurzfristigen Krisenmanagement der Regierungen (wie z.B. „Gaspreisbremse“ und ähnliche Maßnahmen). Es geht vielmehr darum, die längerfristigen Auswirkungen für die Weltwirtschaft und besonders für Deutschland einzuschätzen.
Auch wenn kein direkter Bezug zum Ukraine-Krieg besteht, kann eine „Zeitenwende“ eingefordert werden. Unter dem propagandistischen Motto „Es gilt die Lehren aus der Abhängigkeit vom russischen Gas zu ziehen“ werden die zukünftigen ökonomischen Beziehungen zu China zur Diskussion gestellt. Die (potenziellen) ökonomischen Folgen einer zunehmenden Konfrontation mit China sind deshalb ebenfalls Thema dieses Artikels.
Dagegen werden die Auswirkungen auf die russische Wirtschaft nicht behandelt. Vor allem deshalb, weil es zur Zeit schwierig ist, dazu genügend zuverlässige Informationen zu erhalten.
Nur die realistische Einschätzung der Ausgangslage erlaubt die Beurteilung von Folgen. Deshalb erfolgt zuerst eine Beschreibung des Zustandes der kapitalistischen Weltwirtschaft einschließlich der Entwicklungen und Veränderungen, die bereits vor Beginn des Krieges und unabhängig von diesem zu beobachten waren.
Die Ausgangslage: eine kapitalistische Ökonomie mit gebremstem Wachstum und erhöhter Krisenanfälligkeit
Die kapitalistischen Zentren (USA, Europa, Japan) befinden sich schon seit längerem (seit ca. 1973/74) in einer Phase, in der die Kapitalakkumulation weit von früher (z.B. in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts) erreichten Zuwachsraten entfernt ist. Seitdem zeigte die Wirtschaft, aus Sicht des Kapitals, unbefriedigende Wachstumsraten. Unter den gegebenen Bedingungen war es anscheinend für Teile des angehäuften Kapitals schwierig, immer wieder geeignete Verwertungsbedingungen im (häufig stagnierenden) produktiven Sektor zu finden. Diese Kapitale verblieben tendenziell im Finanzsektor und suchten dort eine Rendite, oft mittels rein spekulativer Geschäfte.
Zusätzlich waren verschiedene Krisenerscheinungen ständig präsent bzw. lösten sich in dichter Folge ab. Zu nennen wären z.B. das Entstehen der hohen Sockelarbeitslosigkeit in den 70er Jahren. Die Arbeitslosigkeit ist immer noch vorhanden, auch wenn sie nicht mehr kontinuierlich ansteigt. Dann gab es mehrere Perioden mit hohen Preissteigerungen (Höhepunkte auch in den 1970ern und jetzt wieder ganz aktuell). Es gab die Schuldenkrise in den 80er Jahren, die 1982 mit der praktischen Zahlungsunfähigkeit Mexikos begann und hauptsächlich lateinamerikanische Staaten betraf, die Asienkrise 1997 und vor allem, und bisher am tiefgreifendsten, die Finanzkrise von 2008.
In den Wirtschaftsstatistiken wird die Lage durch die relativ geringen Steigerungsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sichtbar. Die Investitionsraten sind ebenfalls vergleichsweise niedrig. Die Kapazitäten der Betriebe sind oft nicht voll ausgelastet. Es herrscht ein Zustand der latenten Überakkumulation.
Auch das Produktivitätswachstum ist im Vergleich zu früheren Perioden deutlich zurückgegangen. Das mag angesichts der vielen Berichte über die fortschreitende Digitalisierung und den Einsatz von Robotern überraschend sein, ist aber eine gut belegte Tatsache. Die Steigerungsraten der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität sind in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken. So gab es z.B. in Deutschland zwischen 2007 und 2019 nur einen durchschnittlichen Zuwachs von 0,6 Prozent der Wertschöpfung pro Erwerbstätigenstunde und pro Jahr. In früheren Zeiten lag diese Zuwachsrate um einiges höher (bis zu 3%). Deutschland ist kein Sonderfall. Die Zahlen für andere Industrieländer sind ähnlich.
Als Argument gegen die Diagnose einer kapitalistischen Wachstumsschwäche könnte man auf die Statistiken von Weltbank bzw. IWF verweisen, die für die letzten Jahrzehnte noch ein beachtliches Wachstum des globalen BIP ausweisen. Aber die Aussage über die Wachstumsschwäche bezieht sich in erster Linie auf die alten kapitalistischen Zentren. Sie trifft nicht automatisch auch auf Wirtschaftsräume außerhalb der Zentren zu. Diese müssen aus verschiedenen Gründen differenzierter betrachtet werden. Und dann gibt es ein Land, das in mehrerer Hinsicht, aber besonders in Bezug auf das Wachstum, eine Ausnahme darstellt, nämlich China (dazu später mehr).
Für den Oktober 2022 wurde eine Preissteigerungsrate von 10,4 % gemeldet. Damit hat sich die Inflation mit Macht zurückgemeldet. Einen so hohen Wert hat es schon sehr lange nicht mehr gegeben. Die Lohnabhängigen sind dadurch starken Reallohnverlusten ausgesetzt. Denn die bisherigen Abschlüsse der Gewerkschaften können solch hohe Preissteigerungen nicht ausgleichen. Problematisch ist die Situation vor allem für Beschäftigte im Niedriglohnsektor und für andere Personen mit niedrigen Einkommen. Denn von den Preissteigerungen sind ganz besonders Produkte betroffen, die zur Basisversorgung gehören und deshalb unverzichtbar sind, wie z.B. Lebensmittel oder Heizenergie.
Gedanken beim Versuch, diese Frage zu beantworten
Mit den Umwälzungen nach 1990 ist Russland wieder ein kapitalistisches Land geworden. Über die Richtigkeit dieser Feststellung dürfte innerhalb der gesamten Linken große Einigkeit bestehen. Aber ist das heutige Russland eventuell auch imperialistisch? Spätestens seit Beginn des Ukrainekrieges wird diese Frage diskutiert. Dazu gibt es etliche Wortmeldungen, auch von linker, marxistischer Seite. Manche bejahen diese Frage eindeutig, z.B. die SDAJ (laut einer Erklärung vom 25.02.2022) „Dabei steht außer Frage, dass Russland ein imperialistisches Land ist“. Die MLPD spricht in Bezug auf Russland (und auch auf China) von „Neuimperialismus“ (z.B. in einer Erklärung vom 11.03.2022). Auch für die kommunistische Partei Griechenlands (KKE) ist Russland imperialistisch und der Ukrainekrieg deshalb ein imperialistischer Krieg. Dagegen sind der DKP- Vorsitzende Patrick Köbele und etwa auch Willi Gerns deutlich vorsichtiger (auf deren Argumentation wird unten noch genauer eingegangen).
Gleichzeitig entdeckt auch die bürgerliche Seite wieder die Nützlichkeit des Imperialismusbegriffs für ihre Propaganda. Von den Leitmedien und von westlichen Politikern, allen voran Bundeskanzler Scholz, wird Russland vorgeworfen, eine imperialistische Politik zu betreiben.
Auch ohne den Begriff „Zeitenwende“ zu strapazieren, dürfte klar sein, die Analyse und Beurteilung der gegenwärtige Situation ist auch für Linke und Kommunisten nicht ganz einfach. Es stellen sich neue Fragen, bisherige Einschätzungen müssen kritisch überprüft werden. Selbstverständlich geht es dabei nicht um irgendeine Anpassung an die aufgeheizte politische Stimmung, die hierzulande zur Zeit dominiert. Es reicht aber auch nicht, diese Stimmung einfach nur abzulehnen und Widerspruch dagegen einzulegen, so berechtigt und notwendig das auch ist. Wir müssen der Sache schon auf den Grund gehen.
Entsprechend dem Thema liegt der Schwerpunkt dieses Artikels auf der Einschätzung des heutigen Russland, der Russischen Föderation. Selbstverständlich ist der Krieg auch auf das Engste mit den Verhältnissen in der Ukraine und der dortigen Politik verbunden. Darauf wird aber nur am Rande eingegangen, insbesondere wird nicht genauer untersucht, wie und warum die Entwicklung in der Ukraine zu den heutigen Verhältnissen geführt hat. Da muss auf andere Veröffentlichungen verwiesen werden.
Und dann noch eine einleitende Anmerkung. Es ist ganz wesentlich, dass wir unsere eigene Analyse zuerst einmal nur auf einigermaßen gesicherten Fakten aufbauen. Deshalb wird soweit wie nur möglich auf Spekulationen verzichtet, egal ob zum weiteren Verlauf der militärischen Auseinandersetzung oder zu eventuellen politischen Folgen in Russland usw.. Genauso ist dieser Artikel zurückhaltend bei der Kommentierung von allen Ereignissen, die im Zentrum des stattfindenden Informationskrieges stehen. Das betrifft z.B. die Frage nach Kriegsverbrechen in Butscha oder warum die Evakuierung der Zivilisten aus Mariupol immer wieder gescheitert ist. Solchen Fragen wird im folgenden nicht nachgegangen. Nicht weil sie unwichtig wären oder gar weil sie verdrängt werden sollen. Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Nachrichtenlage dann hoffentlich klarer und überprüfbarer ist, darauf zurückkommen müssen.
Die Ausgangslage, die Auflösung der Sowjetunion
Die zwei Staaten, die sich im Ukraine-Krieg unmittelbar gegenüberstehen, waren vor 32 Jahren, noch beide selbstverständliche Teile der Sowjetunion. Damals, bei der Auflösung der Sowjetunion, war die jetzige kriegerische Konfrontation keineswegs vorgezeichnet.
Der Wunsch nach Unabhängigkeit hat zwar in der krisenhaften Spätphase der Sowjetunion (SU) eine bedeutende Rolle gespielt, aber eigentlich nicht in Bezug auf die Ukraine. Die Unabhängigkeit war vor allem für die drei baltischen Länder ein mit großer Entschlossenheit angestrebtes Ziel, dann auch für Moldawien/Transnistrien und die Kaukasus-Republiken Georgien und Armenien. Zusätzlich gab es auch Unabhängigkeitsbewegungen in einigen Gebieten, die keine eigenen Sowjetrepubliken waren, wie etwa Tschetschenien oder Abchasien. Nebenbei sei angemerkt, dass die Situation im Kaukasus wegen diverser lokaler Konflikte wie z.B. zwischen Armenien und Aserbaidschan oder Georgien und Abchasien ziemlich anders war als im Baltikum. Darauf wird aber nicht weiter eingegangen, das wäre ein eigenes Thema. Für die Ukraine spielte die Unabhängigkeit zuerst einmal keine entscheidende Rolle (ähnlich wie für Belarus, Kasachstan und andere Sowjetrepubliken).
Um zu erklären, warum es dann trotzdem ziemlich schnell zur Auflösung der SU und zu einer selbstständigen Ukraine gekommen ist, muss man etwas ins Detail gehen.
Welche Bedeutung hat die Bundestagswahl für die künftige Außen- und Sicherheitspolitik?
Man darf in dieser Berliner Republik über so manches unterschiedlicher Auffassung sein, deshalb gibt es ja auch unterschiedliche Parteien, die mehr oder weniger unterschiedliche Interessen bedienen. Bezüglich der Außen-und Sicherheitspolitik gilt das aber nicht, wenn Parteien sich an einer Bundesregierung beteiligen wollen. Sie müssen im Vorfeld ein Bekenntnis zur NATO, also zu dem militärischen Bündnis abgeben, das vom kalten Krieg übrig geblieben ist. Gelegentlich ist auch von der Zustimmung zur westlichen Wertegemeinschaft die Rede. Nur unter dieser Voraussetzung ist eine Regierungsbeteiligung möglich. Noch in der Spiegel- Ausgabe vom 18.September, also kurz vor der Wahl, wurde eine umfragebasierte sog. rot-grün-rote Koalition für denkbar gehalten. Es hieß da:“Zuletzt ergab sich in mehreren Umfragen eine Mehrheit für eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken, wobei sich Sozialdemokraten und Grüne von dieser Option distanzierten, sie aber auch nicht explizit ausschließen. Als heikelster Knackpunkt für eine Koalition gilt die Außen-und Sicherheitspolitik.“ Dabei war die Linke die einzige Partei, die im Bundestag von Anfang an gegen die Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan stimmte und mit ihrer Einschätzung richtig lag. Das Afghanistan-Desaster spielte aber im Wahlkampf so gut wie keine Rolle. Wie war das möglich? Lag es nicht für alle sichtbar auf der Hand, dass die Bundeswehr in einen Krieg geschickt worden war, der nicht zu gewinnen war? Tatsächlich gelang es Medien und bürgerlichem Politikbetrieb das Thema zu drehen, indem sie ein neues Fass aufmachten. Jetzt sollten sich nicht mehr die Befürworter der Afghanistaneinsätze der Bundeswehr für ihre Fehleinschätzungen rechtfertigen müssen. Da sich die Abgeordneten der Linken mehrheitlich bei der Abstimmung über das Mandat zur Rückholung der sog. Ortskräfte aus nachvollziehbaren Gründen enthalten hatten, wurden ihnen moralische Defizite unterstellt. Kann man mit solchen Leuten eine Regierung bilden, die „unsere afghanischen Hiwis“ im Stich lassen wollten? Nun ja, die Wahl ist vorbei. Das desaströse Wahlergebnis der Linkspartei hat die Debatte um ein mögliches Mitte-Links-Bündnis beendet. Olaf Scholz von der SPD ergriff die Gelegenheit, das Erbe von Angela Merkel anzutreten und zusammen mit den Grünen und der FDP eine Koalition der Mitte ins Auge zu fassen. Bei den Sondierungsgesprächen war der Bereich Sicherheits-und Außenpolitik kein Knackpunkt. Wurde überhaupt darüber gesprochen?
Weiterlesen: Bundestagswahl und Außen- und Sicherheitspolitik
Nach 20 Jahren „Antiterrorkrieg“:
Es zeichnete sich bereits schon seit April dieses Jahres ab, die Eroberung ganz Afghanistans samt der Hauptstadt Kabul durch Taliban-Milizen. Mitte August war es dann soweit. Einzig der Flughafen in Kabul blieb bzw. wurde wieder von Elitetruppen der USA und anderer Länder der ehemaligen ISAF-Koalition im „Antiterrorkrieg“ besetzt. Sie sicherten und organisierten Luftbrücken, über die sie eigenes Dienst- und Botschaftspersonal, sog. afghanische Ortskräfte mit ihren Familien und weitere Afghan*innen sowie westliche Staatsangehörige zu Zehntausenden außer Landes evakuierten. Deutschland entsandte dazu bis zu 500 Fallschirmjäger-Soldaten der „Division Schnelle Kräfte“, drei A400M-Militärtransporter und einen Airbus der Luftwaffe. Wodurch am Ende laut Verteidigungsministerium 4.587 Menschen über ein Drehkreuz in Taschkent ausgeflogen und in Charter-Maschinen nach Deutschland gebracht werden konnten, darunter 3.849 Afghanen und 403 Deutsche. Die Linkspartei verhielt sich als Fraktion zu dem nachträglich vom Bundestag beschlossenen „robusten“ Mandat überwiegend enthaltend, einige Abgeordnete stimmten mit Ja oder Nein. Die Enthaltung wandte sich wie Fraktionschef Bartsch betonte gegen Form und Inhalt der Mandatierung, nicht gegen die Hilfe für die Ausreise gefährdeter Menschen. Die versammelte Journaille von „Welt“, „FAZ“ bis „Bild“ warf ihr darauf hin verweigerte Hilfeleistung vor. Am 26. August stellte die Bundeswehr ihre Evakuierungsflüge ein. Am gleichen Tag verübte die Terrorsplittergruppe ISIS-K an einem der Flughafen-Tore ein fast schon erwartetes Sprengstoff-attentat, wodurch weit über 100 Zivilist*innen und 13 US-Soldaten getötet wurden und es viele Schwerverletzte gab. Am 30. August verließen die letzten US-Truppen um Mitternacht Kabul. Taliban und Afghanen feierten ihren „Sieg“ mit Feuerwerk und Gewehrschüssen in die Luft. Taliban-Spezialeinheiten des Kommandos „Badri 313“ übernahmen den Flughafen.
Laut Medien-Agenturen hatte die offizielle afghanische Regierung mit den Taliban eine „friedliche Machtübergabe“ verabredet, Diese sicherten zu, dass es keine gewaltsame Eroberung der Hauptstadt geben werde und offerierten umgehend eine Generalamnestie. Der als korrupt geltende Präsident und Karzai-Nachfolger, Aschraf Ghani, ergriff mit Anhang und offenbar Koffern voller Geld die Flucht in die Vereinten Arabischen Emirate, die ihn aufnahmen. Die zentrale Taliban-Führung, deren „Politisches Komitee“ in Doha/Qatar seinen Sitz hat, sucht verstärkt den Dialog mit einheimischen Politikern wie Ex-Präsident Karzai. Sie präsentiert sich betont moderat und verkündete, man werde Frauen nicht an Ausbildung und Berufsausübung hindern, wenn dies der Scharia („Islamisches Gesetz“) entspreche. Eine religionsideologisch freilich willkürlich dehn- und auslegbare Zusicherung.
„Falsch eingeschätzte“ Lage?
Heftige Kritik vor allem aus den Reihen der Partei Die Linke bis hin zu Rücktrittsforderungen an die Regierung wurde laut, warum die deutsche Evakuierung erst so spät eingeleitet wurde. Der Linke-Abgeordnete Jan Korte sprach von einem schweren Versäumnis der Merkel-Regierung und Versagen des Auswärtigen Amtes. Früh schon hatte die Linke darauf hingewiesen, Deutsche und bedrohte Afghan*innen aus dem Land herauszuholen, als dies ohne Einsatz der Bundeswehr möglich gewesen wäre, die jetzt wieder in Dankesreden allseits als Retterin hingestellt wurde. Sowohl Kanzlerin Merkel als auch SPD-Außenminister Maas räumten indessen eine „falsche Lageeinschätzung“ ein, was bei so vielen kompetenten militärischen Kennern und politischen Beratern des Think-Tanks „Stiftung für Wissenschaft und Politik“ (SWP) im engeren Umfeld nur verwundern kann. „Nichts ist gut in Afghanistan“ lautete schon vor Jahren der Einwand der Theologin und Repräsentantin der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann, was ihr maßgebliche Politiker*innen negativ ankreideten. Frühzeitige Hinweise der deutschen Botschaft vor Ort, Vorkehrungen zu treffen, wurden anscheinend „überhört“ und übergangen. Seit der „Flüchtlingskrise“ ab 2015 kam es zu einer deutlich rigideren, bürokratisch reglementierten Aufnahme-, besser gesagt Abweisungspraxis für Flüchtende und Asylsuchende aus Afghanistan. Man redete offiziell die Sicherheitslage im Land schön, um Menschen leichter abschieben zu können. Noch vor kurzem wollte man wieder vermehrt afghanische Flüchtlinge aus Deutschland ausfliegen und zurück nach Afghanistan bringen, doch stoppte man dies unter dem Eindruck der dramatischen Entwicklung. Ihnen droht jedoch weiter die Abschiebung. Gebets-mühlenartig wurde der Satz, „2015 darf sich nicht wiederholen“, vor allem von Unionspolitiker*innen jüngst heruntergeleiert. Der SPD-Außenminister Heiko Maas bereiste in den letzten August-Tagen eiligst angrenzende Länder wie Usbekistan, Tadschikistan und Pakistan und stellte ihnen Hunderte von Millionenbeträgen in Aussicht, wenn sie dafür Flüchtlinge aus Afghanistan aufnähmen. Die Innenminister der EU-Länder sind sichtlich bemüht, sich eine neue afghanische „Flüchtlingswelle“ vom Hals zu halten, wohingegen der Luxemburger Außen- und Migrationsminister Jean Asselborn die Meinung vertrat, man könne und müsse allein schon aus Werte- und Humanitätsgründen 40 bis 50.000 Geflüchtete sofort aufnehmen. Die, die die Kriegsschäden nicht unwesentlich mit anrichteten, drücken sich jetzt davor, für die Folgen gerade zu stehen.