Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiter selbst sein!
Arbeiterstimme
Zeitschrift für marxistische Theorie und Praxis
Die Niederlage der spanischen Republik 1939 war eine Niederlage für die spanische und internationale Arbeiterbewegung und ist bis heute Thema ungezählter Bücher.
Die Aufsätze in dem vorliegenden Buch sind erstmalig in der Arbeiterstimme in den Ausgaben September 1986 bis Oktober 1987 veröffentlicht und später in einer Broschüre zusammengefasst worden.
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umstrittene, kritisierte Ergebnisse, bleibende Probleme und notwendige Veränderungen
Die Kritik an den Ergebnissen der Tarifrunden 2022/23, insbesondere des öffentlichen Dienstes (Bund und Kommune) kam erwartbar und postwendend von der „linken Seite“. Beispielhaft sei das Flugblatt/Infoblatt der „Münchner Gewerkschaftslinken“ zitiert, in dem schon in der Überschrift deutlich gemacht, bzw. behauptet wird: „Es wäre mehr drin gewesen!“ Ob Letzteres stimmt, davon später. Richtig ist: „Das Ergebnis des Tarifkampfes im öffentlichen Dienst bedeutet Reallohnverlust!“ Nicht nur im öffentlichen Dienst (betroffen sind 2,9 Millionen Beschäftigte) wäre zu ergänzen. Wie war nun die Forderung, wie das Ergebnis? Gefordert waren 10,5 % tabellenwirksame Entgelterhöhungen, mindestens aber 500 Euro/Monat bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Dem gegenüber steht ein „Schlichtungsvorschlag“ von einem „Inflationsausgleich“ von 4.000 Euro, davon zunächst 1.240 Euro, mit dem Juni-Entgelt ausgezahlt, dann von Juli 2023 bis Februar 2024 monatlich 220 €, die nicht tabellenwirksam sind. Ab März 2024 soll dann auf einen (tabellenwirksamen) Sockelbetrag von 200 Euro, eine Erhöhung von 5,5%, mindestens 340 Euro/Monat kommen. In Geld ausgedrückt hat der Schlichtungsspruch für ausgewählte Tätigkeiten folgende Wirkung:
Die Geltungsdauer eines so gestalteten TV soll zwei Jahre betragen, vom 1. 1. 2023 bis 31.12. 2024. Führende Funktionär*innen von ver.di empfahlen die Annahme des Schlichtungsspruches als Tarifabschluss und „verkaufen“ diesen Spruch als „vernünftigen“ Kompromiss. Und geschichtsvergessen verkündet der ver.di-Vorsitzende Frank Wernecke, dass es sich bei diesem Ergebnis um das höchste Ergebnis in der Geschichte des öffentlichen Dienstes handelt. Dass 1974 unter dem damaligen ÖTV-Vorsitzenden Heinz Kluncker, nach einem dreitägigen Streik vor allem der Müllwerker*innen eine Lohnerhöhung von 11 Prozent durchgesetzt wurde, vergessen und verdrängt? Oder wird so etwas behauptet, weil es damals noch keine ver.di gab, in der die ÖTV aufging? Diese Schönrechnerei und Schönrednerei ist wohl das, was viele Beschäftigte und nicht nur oft selbsternannte Linke auf die „Palme bringt“. „Tue Gutes und rede darüber“, und: „Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg!“ heißt es. Was aber, wenn es nichts Gutes oder einen Erfolg gibt? Ihn herbeireden und herbeischreiben? Mit so einem Vorgehen handelt man sich den Vorwurf der Verlogenheit und Unehrlichkeit ein. Da können die Ergebnisse noch so kompliziert abgefasst sein, wie in zahlreichen TV, rechnen können die Leute und erkennen, dass der Spruch keinen wirklichen Inflationsausgleich bedeutet, geschweige denn die (geringe) Produktivitätssteigerungsrate berücksichtigt, oder gar den jahrelangen Reallohnverlust durch eine „Umverteilungskomponente“ ausgleicht! Was in der Tariftabelle noch einen Inflationsausgleich gerade für die unteren Entgeltgruppen suggeriert, sieht anders aus, wenn eingerechnet wird, dass die tabellenwirksame Entgelterhöhung erst ab März 2024 gilt. Bis dahin gilt noch die alte Tabelle.
Seit Bundeskanzler Scholz im Zusammenhang mit dem 100 Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr von einer „Zeitenwende“ gesprochen hat, erlebt dieses Wort eine Konjunktur. Unter Verweis auf den Krieg in der Ukraine wird jetzt für immer mehr Bereiche eine „Zeitenwende“ diagnostiziert.
Was immer man von diesem Schlagwort hält, der Ukraine-Krieg ist ohne Zweifel eine Zäsur, politisch und ökonomisch. Deutschland ist aus mehreren Gründen von dieser Zäsur besonders betroffen. Im folgenden soll deshalb versucht werden, die direkten und indirekten ökonomischen Folgen des Ukraine-Krieges etwas genauer zu untersuchen.
Der Fokus liegt dabei nicht auf dem kurzfristigen Krisenmanagement der Regierungen (wie z.B. „Gaspreisbremse“ und ähnliche Maßnahmen). Es geht vielmehr darum, die längerfristigen Auswirkungen für die Weltwirtschaft und besonders für Deutschland einzuschätzen.
Auch wenn kein direkter Bezug zum Ukraine-Krieg besteht, kann eine „Zeitenwende“ eingefordert werden. Unter dem propagandistischen Motto „Es gilt die Lehren aus der Abhängigkeit vom russischen Gas zu ziehen“ werden die zukünftigen ökonomischen Beziehungen zu China zur Diskussion gestellt. Die (potenziellen) ökonomischen Folgen einer zunehmenden Konfrontation mit China sind deshalb ebenfalls Thema dieses Artikels.
Dagegen werden die Auswirkungen auf die russische Wirtschaft nicht behandelt. Vor allem deshalb, weil es zur Zeit schwierig ist, dazu genügend zuverlässige Informationen zu erhalten.
Nur die realistische Einschätzung der Ausgangslage erlaubt die Beurteilung von Folgen. Deshalb erfolgt zuerst eine Beschreibung des Zustandes der kapitalistischen Weltwirtschaft einschließlich der Entwicklungen und Veränderungen, die bereits vor Beginn des Krieges und unabhängig von diesem zu beobachten waren.
Die Ausgangslage: eine kapitalistische Ökonomie mit gebremstem Wachstum und erhöhter Krisenanfälligkeit
Die kapitalistischen Zentren (USA, Europa, Japan) befinden sich schon seit längerem (seit ca. 1973/74) in einer Phase, in der die Kapitalakkumulation weit von früher (z.B. in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts) erreichten Zuwachsraten entfernt ist. Seitdem zeigte die Wirtschaft, aus Sicht des Kapitals, unbefriedigende Wachstumsraten. Unter den gegebenen Bedingungen war es anscheinend für Teile des angehäuften Kapitals schwierig, immer wieder geeignete Verwertungsbedingungen im (häufig stagnierenden) produktiven Sektor zu finden. Diese Kapitale verblieben tendenziell im Finanzsektor und suchten dort eine Rendite, oft mittels rein spekulativer Geschäfte.
Zusätzlich waren verschiedene Krisenerscheinungen ständig präsent bzw. lösten sich in dichter Folge ab. Zu nennen wären z.B. das Entstehen der hohen Sockelarbeitslosigkeit in den 70er Jahren. Die Arbeitslosigkeit ist immer noch vorhanden, auch wenn sie nicht mehr kontinuierlich ansteigt. Dann gab es mehrere Perioden mit hohen Preissteigerungen (Höhepunkte auch in den 1970ern und jetzt wieder ganz aktuell). Es gab die Schuldenkrise in den 80er Jahren, die 1982 mit der praktischen Zahlungsunfähigkeit Mexikos begann und hauptsächlich lateinamerikanische Staaten betraf, die Asienkrise 1997 und vor allem, und bisher am tiefgreifendsten, die Finanzkrise von 2008.
In den Wirtschaftsstatistiken wird die Lage durch die relativ geringen Steigerungsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sichtbar. Die Investitionsraten sind ebenfalls vergleichsweise niedrig. Die Kapazitäten der Betriebe sind oft nicht voll ausgelastet. Es herrscht ein Zustand der latenten Überakkumulation.
Auch das Produktivitätswachstum ist im Vergleich zu früheren Perioden deutlich zurückgegangen. Das mag angesichts der vielen Berichte über die fortschreitende Digitalisierung und den Einsatz von Robotern überraschend sein, ist aber eine gut belegte Tatsache. Die Steigerungsraten der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität sind in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken. So gab es z.B. in Deutschland zwischen 2007 und 2019 nur einen durchschnittlichen Zuwachs von 0,6 Prozent der Wertschöpfung pro Erwerbstätigenstunde und pro Jahr. In früheren Zeiten lag diese Zuwachsrate um einiges höher (bis zu 3%). Deutschland ist kein Sonderfall. Die Zahlen für andere Industrieländer sind ähnlich.
Als Argument gegen die Diagnose einer kapitalistischen Wachstumsschwäche könnte man auf die Statistiken von Weltbank bzw. IWF verweisen, die für die letzten Jahrzehnte noch ein beachtliches Wachstum des globalen BIP ausweisen. Aber die Aussage über die Wachstumsschwäche bezieht sich in erster Linie auf die alten kapitalistischen Zentren. Sie trifft nicht automatisch auch auf Wirtschaftsräume außerhalb der Zentren zu. Diese müssen aus verschiedenen Gründen differenzierter betrachtet werden. Und dann gibt es ein Land, das in mehrerer Hinsicht, aber besonders in Bezug auf das Wachstum, eine Ausnahme darstellt, nämlich China (dazu später mehr).
Für den Oktober 2022 wurde eine Preissteigerungsrate von 10,4 % gemeldet. Damit hat sich die Inflation mit Macht zurückgemeldet. Einen so hohen Wert hat es schon sehr lange nicht mehr gegeben. Die Lohnabhängigen sind dadurch starken Reallohnverlusten ausgesetzt. Denn die bisherigen Abschlüsse der Gewerkschaften können solch hohe Preissteigerungen nicht ausgleichen. Problematisch ist die Situation vor allem für Beschäftigte im Niedriglohnsektor und für andere Personen mit niedrigen Einkommen. Denn von den Preissteigerungen sind ganz besonders Produkte betroffen, die zur Basisversorgung gehören und deshalb unverzichtbar sind, wie z.B. Lebensmittel oder Heizenergie.
Gedanken beim Versuch, diese Frage zu beantworten
Mit den Umwälzungen nach 1990 ist Russland wieder ein kapitalistisches Land geworden. Über die Richtigkeit dieser Feststellung dürfte innerhalb der gesamten Linken große Einigkeit bestehen. Aber ist das heutige Russland eventuell auch imperialistisch? Spätestens seit Beginn des Ukrainekrieges wird diese Frage diskutiert. Dazu gibt es etliche Wortmeldungen, auch von linker, marxistischer Seite. Manche bejahen diese Frage eindeutig, z.B. die SDAJ (laut einer Erklärung vom 25.02.2022) „Dabei steht außer Frage, dass Russland ein imperialistisches Land ist“. Die MLPD spricht in Bezug auf Russland (und auch auf China) von „Neuimperialismus“ (z.B. in einer Erklärung vom 11.03.2022). Auch für die kommunistische Partei Griechenlands (KKE) ist Russland imperialistisch und der Ukrainekrieg deshalb ein imperialistischer Krieg. Dagegen sind der DKP- Vorsitzende Patrick Köbele und etwa auch Willi Gerns deutlich vorsichtiger (auf deren Argumentation wird unten noch genauer eingegangen).
Gleichzeitig entdeckt auch die bürgerliche Seite wieder die Nützlichkeit des Imperialismusbegriffs für ihre Propaganda. Von den Leitmedien und von westlichen Politikern, allen voran Bundeskanzler Scholz, wird Russland vorgeworfen, eine imperialistische Politik zu betreiben.
Auch ohne den Begriff „Zeitenwende“ zu strapazieren, dürfte klar sein, die Analyse und Beurteilung der gegenwärtige Situation ist auch für Linke und Kommunisten nicht ganz einfach. Es stellen sich neue Fragen, bisherige Einschätzungen müssen kritisch überprüft werden. Selbstverständlich geht es dabei nicht um irgendeine Anpassung an die aufgeheizte politische Stimmung, die hierzulande zur Zeit dominiert. Es reicht aber auch nicht, diese Stimmung einfach nur abzulehnen und Widerspruch dagegen einzulegen, so berechtigt und notwendig das auch ist. Wir müssen der Sache schon auf den Grund gehen.
Entsprechend dem Thema liegt der Schwerpunkt dieses Artikels auf der Einschätzung des heutigen Russland, der Russischen Föderation. Selbstverständlich ist der Krieg auch auf das Engste mit den Verhältnissen in der Ukraine und der dortigen Politik verbunden. Darauf wird aber nur am Rande eingegangen, insbesondere wird nicht genauer untersucht, wie und warum die Entwicklung in der Ukraine zu den heutigen Verhältnissen geführt hat. Da muss auf andere Veröffentlichungen verwiesen werden.
Und dann noch eine einleitende Anmerkung. Es ist ganz wesentlich, dass wir unsere eigene Analyse zuerst einmal nur auf einigermaßen gesicherten Fakten aufbauen. Deshalb wird soweit wie nur möglich auf Spekulationen verzichtet, egal ob zum weiteren Verlauf der militärischen Auseinandersetzung oder zu eventuellen politischen Folgen in Russland usw.. Genauso ist dieser Artikel zurückhaltend bei der Kommentierung von allen Ereignissen, die im Zentrum des stattfindenden Informationskrieges stehen. Das betrifft z.B. die Frage nach Kriegsverbrechen in Butscha oder warum die Evakuierung der Zivilisten aus Mariupol immer wieder gescheitert ist. Solchen Fragen wird im folgenden nicht nachgegangen. Nicht weil sie unwichtig wären oder gar weil sie verdrängt werden sollen. Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Nachrichtenlage dann hoffentlich klarer und überprüfbarer ist, darauf zurückkommen müssen.
Die Ausgangslage, die Auflösung der Sowjetunion
Die zwei Staaten, die sich im Ukraine-Krieg unmittelbar gegenüberstehen, waren vor 32 Jahren, noch beide selbstverständliche Teile der Sowjetunion. Damals, bei der Auflösung der Sowjetunion, war die jetzige kriegerische Konfrontation keineswegs vorgezeichnet.
Der Wunsch nach Unabhängigkeit hat zwar in der krisenhaften Spätphase der Sowjetunion (SU) eine bedeutende Rolle gespielt, aber eigentlich nicht in Bezug auf die Ukraine. Die Unabhängigkeit war vor allem für die drei baltischen Länder ein mit großer Entschlossenheit angestrebtes Ziel, dann auch für Moldawien/Transnistrien und die Kaukasus-Republiken Georgien und Armenien. Zusätzlich gab es auch Unabhängigkeitsbewegungen in einigen Gebieten, die keine eigenen Sowjetrepubliken waren, wie etwa Tschetschenien oder Abchasien. Nebenbei sei angemerkt, dass die Situation im Kaukasus wegen diverser lokaler Konflikte wie z.B. zwischen Armenien und Aserbaidschan oder Georgien und Abchasien ziemlich anders war als im Baltikum. Darauf wird aber nicht weiter eingegangen, das wäre ein eigenes Thema. Für die Ukraine spielte die Unabhängigkeit zuerst einmal keine entscheidende Rolle (ähnlich wie für Belarus, Kasachstan und andere Sowjetrepubliken).
Um zu erklären, warum es dann trotzdem ziemlich schnell zur Auflösung der SU und zu einer selbstständigen Ukraine gekommen ist, muss man etwas ins Detail gehen.
Welche Bedeutung hat die Bundestagswahl für die künftige Außen- und Sicherheitspolitik?
Man darf in dieser Berliner Republik über so manches unterschiedlicher Auffassung sein, deshalb gibt es ja auch unterschiedliche Parteien, die mehr oder weniger unterschiedliche Interessen bedienen. Bezüglich der Außen-und Sicherheitspolitik gilt das aber nicht, wenn Parteien sich an einer Bundesregierung beteiligen wollen. Sie müssen im Vorfeld ein Bekenntnis zur NATO, also zu dem militärischen Bündnis abgeben, das vom kalten Krieg übrig geblieben ist. Gelegentlich ist auch von der Zustimmung zur westlichen Wertegemeinschaft die Rede. Nur unter dieser Voraussetzung ist eine Regierungsbeteiligung möglich. Noch in der Spiegel- Ausgabe vom 18.September, also kurz vor der Wahl, wurde eine umfragebasierte sog. rot-grün-rote Koalition für denkbar gehalten. Es hieß da:“Zuletzt ergab sich in mehreren Umfragen eine Mehrheit für eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken, wobei sich Sozialdemokraten und Grüne von dieser Option distanzierten, sie aber auch nicht explizit ausschließen. Als heikelster Knackpunkt für eine Koalition gilt die Außen-und Sicherheitspolitik.“ Dabei war die Linke die einzige Partei, die im Bundestag von Anfang an gegen die Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan stimmte und mit ihrer Einschätzung richtig lag. Das Afghanistan-Desaster spielte aber im Wahlkampf so gut wie keine Rolle. Wie war das möglich? Lag es nicht für alle sichtbar auf der Hand, dass die Bundeswehr in einen Krieg geschickt worden war, der nicht zu gewinnen war? Tatsächlich gelang es Medien und bürgerlichem Politikbetrieb das Thema zu drehen, indem sie ein neues Fass aufmachten. Jetzt sollten sich nicht mehr die Befürworter der Afghanistaneinsätze der Bundeswehr für ihre Fehleinschätzungen rechtfertigen müssen. Da sich die Abgeordneten der Linken mehrheitlich bei der Abstimmung über das Mandat zur Rückholung der sog. Ortskräfte aus nachvollziehbaren Gründen enthalten hatten, wurden ihnen moralische Defizite unterstellt. Kann man mit solchen Leuten eine Regierung bilden, die „unsere afghanischen Hiwis“ im Stich lassen wollten? Nun ja, die Wahl ist vorbei. Das desaströse Wahlergebnis der Linkspartei hat die Debatte um ein mögliches Mitte-Links-Bündnis beendet. Olaf Scholz von der SPD ergriff die Gelegenheit, das Erbe von Angela Merkel anzutreten und zusammen mit den Grünen und der FDP eine Koalition der Mitte ins Auge zu fassen. Bei den Sondierungsgesprächen war der Bereich Sicherheits-und Außenpolitik kein Knackpunkt. Wurde überhaupt darüber gesprochen?
Weiterlesen: Bundestagswahl und Außen- und Sicherheitspolitik
Nach 20 Jahren „Antiterrorkrieg“:
Es zeichnete sich bereits schon seit April dieses Jahres ab, die Eroberung ganz Afghanistans samt der Hauptstadt Kabul durch Taliban-Milizen. Mitte August war es dann soweit. Einzig der Flughafen in Kabul blieb bzw. wurde wieder von Elitetruppen der USA und anderer Länder der ehemaligen ISAF-Koalition im „Antiterrorkrieg“ besetzt. Sie sicherten und organisierten Luftbrücken, über die sie eigenes Dienst- und Botschaftspersonal, sog. afghanische Ortskräfte mit ihren Familien und weitere Afghan*innen sowie westliche Staatsangehörige zu Zehntausenden außer Landes evakuierten. Deutschland entsandte dazu bis zu 500 Fallschirmjäger-Soldaten der „Division Schnelle Kräfte“, drei A400M-Militärtransporter und einen Airbus der Luftwaffe. Wodurch am Ende laut Verteidigungsministerium 4.587 Menschen über ein Drehkreuz in Taschkent ausgeflogen und in Charter-Maschinen nach Deutschland gebracht werden konnten, darunter 3.849 Afghanen und 403 Deutsche. Die Linkspartei verhielt sich als Fraktion zu dem nachträglich vom Bundestag beschlossenen „robusten“ Mandat überwiegend enthaltend, einige Abgeordnete stimmten mit Ja oder Nein. Die Enthaltung wandte sich wie Fraktionschef Bartsch betonte gegen Form und Inhalt der Mandatierung, nicht gegen die Hilfe für die Ausreise gefährdeter Menschen. Die versammelte Journaille von „Welt“, „FAZ“ bis „Bild“ warf ihr darauf hin verweigerte Hilfeleistung vor. Am 26. August stellte die Bundeswehr ihre Evakuierungsflüge ein. Am gleichen Tag verübte die Terrorsplittergruppe ISIS-K an einem der Flughafen-Tore ein fast schon erwartetes Sprengstoff-attentat, wodurch weit über 100 Zivilist*innen und 13 US-Soldaten getötet wurden und es viele Schwerverletzte gab. Am 30. August verließen die letzten US-Truppen um Mitternacht Kabul. Taliban und Afghanen feierten ihren „Sieg“ mit Feuerwerk und Gewehrschüssen in die Luft. Taliban-Spezialeinheiten des Kommandos „Badri 313“ übernahmen den Flughafen.
Laut Medien-Agenturen hatte die offizielle afghanische Regierung mit den Taliban eine „friedliche Machtübergabe“ verabredet, Diese sicherten zu, dass es keine gewaltsame Eroberung der Hauptstadt geben werde und offerierten umgehend eine Generalamnestie. Der als korrupt geltende Präsident und Karzai-Nachfolger, Aschraf Ghani, ergriff mit Anhang und offenbar Koffern voller Geld die Flucht in die Vereinten Arabischen Emirate, die ihn aufnahmen. Die zentrale Taliban-Führung, deren „Politisches Komitee“ in Doha/Qatar seinen Sitz hat, sucht verstärkt den Dialog mit einheimischen Politikern wie Ex-Präsident Karzai. Sie präsentiert sich betont moderat und verkündete, man werde Frauen nicht an Ausbildung und Berufsausübung hindern, wenn dies der Scharia („Islamisches Gesetz“) entspreche. Eine religionsideologisch freilich willkürlich dehn- und auslegbare Zusicherung.
„Falsch eingeschätzte“ Lage?
Heftige Kritik vor allem aus den Reihen der Partei Die Linke bis hin zu Rücktrittsforderungen an die Regierung wurde laut, warum die deutsche Evakuierung erst so spät eingeleitet wurde. Der Linke-Abgeordnete Jan Korte sprach von einem schweren Versäumnis der Merkel-Regierung und Versagen des Auswärtigen Amtes. Früh schon hatte die Linke darauf hingewiesen, Deutsche und bedrohte Afghan*innen aus dem Land herauszuholen, als dies ohne Einsatz der Bundeswehr möglich gewesen wäre, die jetzt wieder in Dankesreden allseits als Retterin hingestellt wurde. Sowohl Kanzlerin Merkel als auch SPD-Außenminister Maas räumten indessen eine „falsche Lageeinschätzung“ ein, was bei so vielen kompetenten militärischen Kennern und politischen Beratern des Think-Tanks „Stiftung für Wissenschaft und Politik“ (SWP) im engeren Umfeld nur verwundern kann. „Nichts ist gut in Afghanistan“ lautete schon vor Jahren der Einwand der Theologin und Repräsentantin der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann, was ihr maßgebliche Politiker*innen negativ ankreideten. Frühzeitige Hinweise der deutschen Botschaft vor Ort, Vorkehrungen zu treffen, wurden anscheinend „überhört“ und übergangen. Seit der „Flüchtlingskrise“ ab 2015 kam es zu einer deutlich rigideren, bürokratisch reglementierten Aufnahme-, besser gesagt Abweisungspraxis für Flüchtende und Asylsuchende aus Afghanistan. Man redete offiziell die Sicherheitslage im Land schön, um Menschen leichter abschieben zu können. Noch vor kurzem wollte man wieder vermehrt afghanische Flüchtlinge aus Deutschland ausfliegen und zurück nach Afghanistan bringen, doch stoppte man dies unter dem Eindruck der dramatischen Entwicklung. Ihnen droht jedoch weiter die Abschiebung. Gebets-mühlenartig wurde der Satz, „2015 darf sich nicht wiederholen“, vor allem von Unionspolitiker*innen jüngst heruntergeleiert. Der SPD-Außenminister Heiko Maas bereiste in den letzten August-Tagen eiligst angrenzende Länder wie Usbekistan, Tadschikistan und Pakistan und stellte ihnen Hunderte von Millionenbeträgen in Aussicht, wenn sie dafür Flüchtlinge aus Afghanistan aufnähmen. Die Innenminister der EU-Länder sind sichtlich bemüht, sich eine neue afghanische „Flüchtlingswelle“ vom Hals zu halten, wohingegen der Luxemburger Außen- und Migrationsminister Jean Asselborn die Meinung vertrat, man könne und müsse allein schon aus Werte- und Humanitätsgründen 40 bis 50.000 Geflüchtete sofort aufnehmen. Die, die die Kriegsschäden nicht unwesentlich mit anrichteten, drücken sich jetzt davor, für die Folgen gerade zu stehen.
„Überdies befremdeten … Ratschläge, auf der Stelle alle Kommunisten zu erschießen“
Deutsche Militärberater in der Republik China
Vor wenigen Monaten ging eine Meldung durch die Medien, stellvertretend sei der Deutschlandfunk vom 25.04.2021 zitiert: „Im August entsendet die Bundeswehr erstmals seit Jahrzehnten eine Fregatte aus Wilhelmshaven ins Südchinesische Meer, um Deutschlands Präsenz als „gestaltenden Akteur und Partner“ in der Region zu stärken, wie es in den Indopazifik-Leitlinien der Bundesregierung heißt.“ Grundlage dieser Entscheidung ist die Politik der neuen, demokratischen US-Administration, die Drohkulisse gegen die Volksrepublik China international auf eine breitere Basis zu stellen. „Es ist dies ein Wunsch, der bei Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) grundsätzlich auf offene Ohren stößt. Bei ihrer ersten Grundsatzrede vor Studierenden der Universität der Bundeswehr in München sagte sie kurz nach ihrem Amtsantritt, Deutschlands Partner im indopazifischen Raum - allen voran Australien, Japan und Südkorea, aber auch Indien - "fühlten sich von Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt". Sie wünschten sich "ein klares Zeichen der Solidarität". Es sei daher an der Zeit, dass "wir mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region zeigen".“ (sz.de, 04.03.2021)
Militärische Interventionen und Einmischungen in China durch deutsche Regime blicken auf eine über hundertjährige „Tradition“ zurück. Das Bemerkenswerte, aber leider nicht Erstaunliche dabei ist, dass es hierzulande in keiner politischen Phase, weder zu monarchischen, autoritären, faschistischen noch zu demokratischen Zeiten, irgendeine Art von Unrechtsbewusstsein gab. Auch heute geht eine verdammt große politische Koalition davon aus, China einhegen zu müssen; damit feiern Denkmuster und Stereotype des Kalten Kriegs Wiederauferstehung. Die nahe Zukunft wird zeigen, ob die alten antikommunistischen Ressentiments tragfähig genug sein werden, die neue Expansion zu begründen und zu entfalten.
Das deutsche Interventionsinteresse an China
Was vielen Deutschen zur historischen Verbindung mit China noch einfällt, reicht über 120 Jahre zurück und verbindet sich mit der sogenannten Hunnenrede Kaiser Wilhelms II. zur Verabschiedung des deutschen Expeditionskorps Ende Juli 1900. Die „Hunnenrede“ („Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen! … so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, daß es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“) blieb vor allem deshalb ein Begriff, weil diese sprachliche Anlehnung an weit vergangene, mythisch überhöhte Zeiten gerne von der Propaganda der Westmächte im Weltkrieg aufgegriffen wurde, um den Feind zu diffamieren. Die ursprüngliche Verbindung mit der Bewegung der „Verbände für Gerechtigkeit und Harmonie“ in China, dem abfällig so bezeichneten „Boxeraufstand“, ging verloren.
Das deutsche Kaiserreich kam mit seinen Soldaten bekanntlich zu spät zur kurz zuvor beendeten Hauptkampfhandlung, der Besetzung von Tianjin und Beijing, allerdings rechtzeitig genug, um sich einen großen Anteil an der Kriegsbeute zu sichern. Mehr als 7000 Tonnen Silber sollte China allein an diesen Gegner bezahlen, was bedeutete, dass China bis 1938 von deutschen Rückzahlungskrediten abhängig werden sollte. Und das internationale Expeditionskorps, darunter das größte Einzelkontingent von 22500 deutsche Soldaten, kam auch rechtzeitig genug, um drei Tage lang die offene, wehrlose Hauptstadt zu plündern und willkürlich zu morden.
Bis zum Abzug der deutschen Marineexpedition, ein knappes Jahr nach ihrer Ankunft, dienten die Militäreinheiten dazu, den Sieg der vereinten imperialistischen Truppen auf chinesischem Boden durchzusetzen. Gerade die deutschen Einheiten taten sich dabei hervor, den „Widerstand zu brechen“, indem sie Verdächtigte wie Nichtbeteiligte zusammentrieben und töteten. Zu diesem Zweck überließen die Alliierten den Deutschen die angrenzende Provinz Zhili (heute Hebei), die sie systematisch terrorisierten, in der sie hemmungslos und vor allem straffrei raubten, vergewaltigten, folterten und mordeten. Schutzrechte für die Zivilbevölkerung erkannten die Ausländer nicht an. Das Massaker von Liangxiang, bei dem die Kleinstadt bei Beijing sturmreif geschossen und erobert wurde, woraufhin die deutschen Soldaten alle 500 männlichen Einwohner töteten, steht stellvertretend für ungezählte weitere Gräueltaten. Die Zahl der Opfer ist nicht überliefert, ebenso wenig ist überliefert, dass auch nur ein deutscher Soldat wegen seiner Morde und Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt worden wäre. Stattdessen galt die Devise, wie immer bei deutschen Kriegshandlungen, dass der Deutsche im Kampfe sich ehrenvoll verhalten habe. So gab der Generalleutnant von Lessel anlässlich eines Gerichtsverfahrens gegen einen Journalisten, der von den Massakern in China berichtet hatte und dafür zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, zu Protokoll: „Es ist nie vorgekommen, absichtlich nicht, daß Wehrlose von den deutschen Truppen erschossen worden sind. (…) Es sind kaum 10, höchstens 12 Fälle vorgekommen …“¹ Die Abertausende von chinesischen Zivilisten zählten zu den ersten, die durch deutsches Militär getötet wurden. Sie bildeten aber erst den Auftakt für eine Vervielfachung der Opferzahlen, die von deutschen Militärstrategen verursacht wurde.
Weiterlesen: Die deutsche Marine auf großer Fahrt gegen China 2.0
Seit mehr als einem Jahr wird das Leben durch die Sars-CoV-2 Pandemie beeinträchtigt. Ein Ende dieses Zustandes ist noch nicht wirklich abzusehen. Deshalb soll hier versucht werden, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Ziel dieses Artikels ist es nicht, alle Maßnahmen, die bisher zur Eindämmung der Pandemie verfügt wurden, im einzelnen zu diskutieren und nach Sinn oder Unsinn zu hinterfragen. Genauso wenig ist es die Absicht, das Agieren einzelner Politiker darzustellen und zu kritisieren. Vielmehr geht es darum, aus linker Sicht, beispielhaft und ohne Anspruch auf Vollständigkeit, einige wichtige Aspekte der Pandemie und ihrer Bekämpfung zu thematisieren.
Die epidemiologische Ausgangslage
Die Basis für die pandemische Ausbreitung von Sars-CoV-2 ist die leichte Übertragung von Mensch zu Mensch. Die Infektion erfolgt vor allem durch Tröpfchen und Aerosole. Das Risiko einer schweren oder gar tödlichen Erkrankung steigt mit dem Lebensalter erheblich, außerdem steigt das Risiko, wenn zusätzlich Vorerkrankungen vorhanden sind. Nach dem Abklingen der akuten Erkrankung können einzelne Symptome noch lange andauern und für die Betroffenen eine große Belastung darstellen (Long Covid). Auch wenn nicht exakt angegeben werden kann, wie groß die Letalität in den verschiedenen Patientengruppen ist, muss bei den Risikogruppen von einer mit dem Alter ansteigenden Sterberate zwischen 5% und 20% ausgegangen werden.Wenn man dann bedenkt, dass der Anteil der über 65-Jährigen in Deutschland etwa 22% der Bevölkerung ausmacht (mehr als 18 Millionen Personen, über 80-Jährige mehr als 5 Millionen) wird offensichtlich, wie groß die Risikogruppen sind und welche Verheerungen eine ungebremste Ausbreitung der Epidemie mit sich bringen würde.
Da es sich bei Sars-CoV-2 um einen neuen Krankheitserreger handelt, war bei Beginn der Pandemie in der Bevölkerung keinerlei Immunschutz vorhanden, der die Ausbreitung der Infektion und die Anfälligkeit für schwere Erkrankungen hätte dämpfen können. Ohne Maßnahmen war und ist also mit einer schnellen und allgemeinen Ausbreitung zu rechnen. Außerdem gibt es (noch) keine Medikamente, die eine wirksame, ursächliche Therapie der Infektion erlauben. Es gibt nur die Möglichkeit, durch eine symptomatische Therapie die Folgen der Infektion abzumildern.