Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus
Auch das Buch von Ulrich Brand und Markus Wissen ist so eine Art Bestseller geworden. Es hat schon die siebte Auflage erreicht und wird in der Degrowth Szene und darüber hinaus fleißig zitiert.
Brand/Wissen gehören zum linken und kapitalismuskritischen Teil von Degrowth.
Der erste Eindruck beim Lesen ist positiv. Man findet viel dem man zustimmen kann und zuerst einmal wenig, dem man definitiv widersprechen muss. Es entsteht der Eindruck, hier wird endlich die ökologische Frage in engen Zusammenhang mit den kapitalistischen Verhältnissen untersucht und dargestellt. Dieser erste Eindruck trübt sich aber bei genaueren Hinsehen. Bei einigen Punkten drängt sich der Eindruck auf, diese kommen eindeutig zu kurz, sie müssten ausführlicher dargestellt werden, dann erkennt man die Lücken in der Argumentation genauer, Lücken bei entscheidenden Fragen. Die Zweifel, ob die Autoren das selbstgesteckte Ziel einlösen können, werden größer.
Aber der Reihe nach, zunächst eine kurze Darstellung des Inhalts. Nach einem einleitenden Kapitel diagnostizieren die Autoren im 2. Kapital das Vorhandensein einer multiplen Krise. Dabei verweisen sie auf die Klimakrise, die Finanzkrise, Biodiversitätsverluste, die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen, die Krise der politischen Repräsentation (zunehmende Erfolge von rechtspopulistischen Parteien), die Flüchtlingskrise etc.. Des weiteren diagnostizieren sie eine paradoxe Situation. Es gibt ein breites Krisenbewusstsein in der Gesellschaft, in Wissenschaft, Medien und Politik. Etliche Vorschläge für notwendige Veränderungen wurden ausgearbeitet und sogar schon von den höchsten Institutionen wie UN beschlossen. Aber obwohl inzwischen keineswegs eine Entspannung eingetreten ist, sondern sich die Krisen in der Realität weiter zuspitzen, gestaltet sich die Umsetzung einer „sozial-ökologischen Transformation“ schwierig. Wenn überhaupt kommt sie nur zäh voran und und wird durch verschiedensten Interessen gebremst. Darüber hinaus stellen die Autoren die Etablierung einer „neuen kritische Orthodoxie“ fest, die die Transformationsdebatte dominiert, aber auch einengt. „Die neue kritische Orthodoxie ist ohne Zweifel ein kritischer Diskurs. Er versucht auf der Höhe der Zeit die Bedingungen für einen Übergang in ein postfossiles Zeitalter zu formulieren. Was ihm jedoch meist fehlt, ist der Blick auf die Verankerung der kritisierten Phänomene in den gesellschaftlichen Strukturen und Kräfteverhältnissen ...“ (S 37). Kurz, die Autoren befürchten eine Debatte, die sich vor allem an technischen und technokratischen Vorstellungen orientiert.
Dem wollen sie mit ihrem Buch entgegentreten. Mit der Einführung des neuen Begriffs der „imperialen Lebensweise“ wollen sie den Schlüssel für das Verständnis der gegenwärtigen Verhältnisse liefern. Um diesen Begriff geht es im 3. Kapitel. Die Autoren schreiben: „Der von uns vorgeschlagene Begriff der „imperialen Lebensweise“ verweist auf die Produktions-, Distributions- und Konsumnormen, die tief in politischen, ökonomischen und kulturellen Alltagsstrukturen und -praxen der Bevölkerung im globalen Norden und zunehmend auch in den Schwellenländern des globalen Südens eingelassen sind. Gemeint sind nicht nur die materiellen Praxen, sondern insbesondere die sie ermöglichenden strukturellen Bedingungen und damit verbundenen gesellschaftlichen Leitbilder und Diskurse. Zugespitzt formuliert: Die Standards des „guten“ und „richtigen“ Lebens, das ja vielfach aus der imperialen Lebensweise besteht, werden im Alltag geprägt, auch wenn sie dabei Teil umfassender gesellschaftlicher Verhältnisse und insbesondere materieller und sozialer Infrastrukturen sind.“ (S 44/45) und weiter: „Die imperiale Lebensweise ist ein wesentliches Moment in der Reproduktion kapitalistischer Gesellschaften. Sie stellt sich über Diskurse und Weltauffassungen her, wird in Praxen und Institutionen verfestigt, ist Ergebnis sozialer Auseinandersetzungen in der Zivilgesellschaft und im Staat. Sie basiert auf Ungleichheit, Macht und Herrschaft, mitunter auch auf Gewalt und bringt diese gleichzeitig hervor. Sie ist den Subjekten nicht äußerlich. Vielmehr bringt sie die Subjekte in ihren Alltagsverstand hervor, normiert sie und macht sie gleichzeitig handlungsfähig: als Frauen und Männer, als nutzenmaximierende und sich selbst anderen überlegen fühlende Individuen, als nach bestimmten Formen des guten Lebens strebende“. (S 45)
Obwohl das Vorhandensein von Herrschaft und Gewalt festgestellt wird, betonen die Autoren charakteristisch für die imperiale Lebensweise sei ihre Akzeptanz durch weiter Kreise, auch subalterne Klassen ,ein von den Autoren häufig verwendeter Begriff, im globalen Norden. Sie verweisen dabei auf den Begriff von Hegemonie nach Gramsci. Hegemonie als Herrschaft, aber mit der zumindest teilweisen Zustimmung der Betroffenen. Dies bedeute aber keinen konfliktfreien Raum, die exakten Bedingungen wären immer auch durch Kämpfe austariert, es besteht bei der imperialen Lebensweise, wie immer im Kapitalismus, eine Veränderungsdynamik und keineswegs ein statisches Beharren.
Und dann gibt es noch einen ganz wesentlichen Aspekt der imperialen Lebensweise, der mehrmals im Buch angesprochen wird: „Der Kerngedanke des Begriffs ist, dass das alltägliche Leben in den kapitalistischen Zentren wesentlich über die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse und der Naturverhältnisse andernorts ermöglicht wird: über den im Prinzip unbegrenzten Zugriff auf die Arbeitsvermögen, die natürlichen Ressourcen … im globalen Maßstab. Entscheidend für das Leben in den kapitalistischen Zentren ist die Art und Weise, wie Gesellschaften andernorts – insbesondere im globalen Süden – organisiert sind und ihr Verhalten zur Natur gestalten, da dies grundlegend dafür ist, ob der für die Ökonomien des globalen Nordens nötige Transfer von Arbeit und Natur aus dem globalen Süden gewährleistet ist“ (S 43/44)
Für die Autoren ist die imperiale Lebensweise mit der Ausbeutung von Mensch und Natur verbundenen. Die Ausbeutung erfolgt aber, nach Einschätzung der Autoren, nicht mehr oder weniger gleichmäßig in allen Regionen, betroffen ist vor allem der globale Süden, der Nutznießer ist der globale Norden, einschließlich der breiten Bevölkerung und der subalternen Klassen dort. Es wird mehrmals festgestellt, diese Ausbeutung hat sowohl einen ökonomischen Anteil (Übertragung von Arbeit) als auch einen ökologischen, die überproportionale Nutzung von Rohstoffen und anderen Naturressourcen.
Im 4. Kapitel wird die historische Entstehung der imperialen Lebensweise skizziert. Dabei stellen Brand/Wissen fest, dass diese bereits im Frühkapitalismus (ab dem 16. Jahrhundert) ihren Anfang genommen hat. Sie verweisen auf die spanischen Konquistadoren ebenso wie auf den Sklavenhandel und die auf Sklavenhaltung basierende Plantagenwirtschaft. Allerdings waren die Profiteure der imperialen Lebensweise damals auf einen sehr kleinen Kreis der oberen Klassen beschränkt. Daran hätte sich auch in der Phase des liberalen Kapitalismus im 19. und Anfang des 20 Jahrhundert nicht viel geändert. Eine Verallgemeinerung der imperialen Lebensweise in den Zentren des globalen Nordens sei erst in der Phase des Fordismus (in den USA ab den 1930ger Jahren, in Westeuropa nach dem 2. Weltkrieg) eingetreten. Durch die damals erreichte erhebliche Steigerung des materiell Lebensstandard für große Teile der Bevölkerung konnte sich zusammen mit anderen Einflüssen, wie z.B. Antikommunismus, die hegemoniale Stellung der imperialen Lebensweise etablieren.
Kapitel 5 die globale Verallgemeinerung der imperialen Lebensweise: Für die 70ger Jahre des 20. Jahrhunderts, mit dem Ende des Fordismus, glauben Brand/Wissen eine Krise der imperialen Lebensweise feststellen zu können und ein Fenster für Veränderungen, das aber nicht genutzt werden konnte. Danach sei, angetrieben durch den Neoliberalismus, in den Zentren eine weitere Vertiefung der imperialen Lebensweise festzustellen und eine Verallgemeinerung in globaler Hinsicht, durch die Einbeziehung von Mittelschichten aus den sogenannten Schwellenländern. Ein besonderes Beispiel dafür wäre die Entwicklung in China. China hätte inzwischen eine semi-imperiale Lebensweise erreicht.
Das 6. Kapitel enthält eine Analyse der „imperiale Automobilität“, wie es die Autoren nennen, insbesondere der zurzeit modischen SUVs. Die Autoren sehen darin ein besonders typisches Beispiel.
Im 7. Kapitel „Falsche Alternativen, von grüner Ökonomie zum grünen Kapitalismus“ konkretisieren Brand/Wissen ihre Kritik an einer grünen Ökonomie bzw. das, was unter diesem Begriff meistens verstanden wird. Grüne Ökonomie wäre grüner Kapitalismus. Die Autoren verweisen auf die Widersprüche und Unzulänglichkeiten, die mit grünem Kapitalismus verbunden bleiben und stellen fest, dass ein solcher vielleicht eine Modernisierung der imperialen Lebnsweise bewirkt, aber nicht deren Beendigung.
Im 8. Kapitel „Konturen einer solidarischen Lebensweise“ gibt es zuerst eine nüchterne Bestandsaufnahme. Die Politik (in Deutschland, aber aber nicht nur dort) werde dominiert von Kräften, die auf den Erhalt des Status quo ausgerichtet sind und damit auch auf den Erhalt der imperialen Lebensweise. Oft droht, als politische Reaktion auf die diversen Krisenerscheinungen, ein weiteres Rücken nach rechts, bzw. ist ein solches (siehe Trump) schon eingetreten. Die emanzipatorischen Kräfte, die aus der Sicht der Autoren, die Lösung der eigentliche Krisenursachen im Auge haben, sind meistens schwach. Die Autoren betonen die Notwendigkeit von kritischen Analysen und strategischen Überlegungen und weisen auf das „weitverbreitete Unbehagen“ und die „vielfältigen aktuellen Erfahrungen“ von kleineren und größeren Bewegungen hin (z.B. Widerstand gegen TTIP und CETA, gegen Rassismus und Sexismus, Initiativen aus der Degrowth Szene). Betont wird auch die Notwendigkeit, die Demokratie gegenüber autoritären Einschränkungen zu verteidigen. Die meisten Ausführungen zu einer solidarischen Lebensweise und wie eine solche erreicht werden könnte bleiben allgemein: z.B. „ … Denn die Schaffung einer solidarischen Lebensweise ist eine vielfach konkrete Menschheitsfrage.
In einem umfassenden Sinn bedeutet das sich nicht den falschen, da auf kapitalistischer und hierarchisierender Externalisierung beruhenden Wohlstandsversprechen zu ergeben, sondern Formen des gerechten, solidarischen und nachhaltigen Wohlstands zu schaffen und zu leben. Es bestehen also viele alternative Vorschläge und Forderungen, Praxen und konkrete wie umfassende Strategien – Letztere im Sinne von Weichenstellungen, des Einschlagens von nie schon ganz genau bekannten Wegen, aber eben auch des Ausschlusses anderer Wege. Ab wann und wie solche Veränderungen „systemische Wirkungen“ entfalten, wissen wir jeweils erst im Nachhinein.
Ein hegemoniefähiges Projekt für eine solidarische Lebensweise muss vieles und die vielen verbinden, muss erfahrbar und attraktiv sein. Es werden tendenziell Mitte-unten-Bündnisse sein, die ein solches Projekt tragen. ...“ (S 182/183)
Kritik:
Das Buch ist in die linken Diskussionen eingebunden. Es wird, zustimmend, Marx zitiert und auf andere linke Autoren verwiesen. Man ist geneigt dem Autoren zuzustimmen, insbesondere bei der Notwendigkeit eines grundlegenden Wandels und in der Kritik am grünen Kapitalismus und den illusionären Hoffnungen, die zum Teil darauf gesetzt werden.
Interessant ist die Art und Weise wie die Autoren die Analyse der Konsumnormen, des Alltagslebens, also der gesamten Lebensweise mit der kapitalistischen Produktionsweise verbinden. Beide sind nicht zufällig zueinander. Aus diesen Zusammenhang leiten die Autoren auch die Herausbildung einer spezifischen Subjektivität ab. Denn diese ist selbstverständlich nicht unveränderlich vorgegeben, sondern bildet sich im Zusammenhang mit der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung. Hier können Brand/Wissen neue Einsichten beitragen.
Problematisch wird diese Sicht aber dann, wenn nach der einmal erfolgten Analyse der Zusammenhänge, die Produktionsverhältnisse und ihre Implikationen aus der weiteren Argumentation verschwinden und der Konsum einseitig in den Vordergrund gestellt wird. Es gibt zwar relativierende Aussagen wie „ … soll nicht mit dem Zeigefinger auf Menschen gezeigt werden, die ein Auto haben und fahren, mit großer Selbstverständlichkeit und trotz Alternativen im Kurzstreckenbereich das Flugzeug nutzen oder industriell produziertes Fleisch essen.“ (S 65) oder „Insofern liegt der zentrale Ansatzpunkt von Veränderungen auch nicht darin, „selbst Verantwortung zu übernehmen“ und eine persönliche Entscheidung „zwischen moralischen und unmoralischen Verhalten“ zu treffen, sondern primär auf die gesellschaftlichen Strukturen und Ungleichheitsmuster zu verweisen, welche die imperiale Lebensweise reproduzieren.“ (S 65) Es ist trotzdem typisch für dieses Buch, dass fast alle konkreten Beispiele aus der Welt des Konsums stammen. Es ist die Rede von Flugreisen, Fleischverzehr, regionalen Einkauf, Automobilen speziell SUVs, billige Textilen usw., und dann doch der Eindruck erweckt wird ,das Konsumverhalten wäre eine wesentliche Stellschraube. Dazu ein charakteristisches Zitat: „Zudem prägt sich der strukturelle Zwang zur imperialen Lebensweise je nach nationalstaatlicher und Klassenzugehörigkeit, Geschlechteridentität und race unterschiedlich aus. Während sich die einen punktuell auch entziehen können, indem sie etwa regionale und saisonale Lebensmittel kaufen, verfügen andere nur über eine geringe Handlungsfähigkeit, insbesondere, wenn es um die Gestaltung ihres Erwerbsalltags, des Konsums oder der gesellschaftlichen Verhältnisse geht. Wer über ein niedriges Einkommen oder Vermögen verfügt oder von der Arbeitslosenversicherung oder Sozialtransfers lebt, kann am gesellschaftlichen Wohlstand nur in dem Maße partizipieren, wie er oder sie – etwa beim Kauf eines T-Shirts oder von preiswerten Lebensmitteln – von den schlechten Arbeitsbedingungen und der Ausbeutung von Natur andernorts profitiert.“ (S 55) Obwohl auf die Klassenzugehörigkeit verwiesen wird, ist sie aus der Argumentation selbst verschwunden. Man fragt sich, wo denn die höheren Einkommen herkommen, die angeblich ein punktuelles Entziehen erlauben und wer profitiert von der Ausbeutung, die Käufer_in von Waren oder die Kapitalist_in bzw. unpersönlicher das Kapital, unter dessen Regie die Produktion erfolgt, auf welcher Stufe der Lieferkette auch immer.
Dieses Zitat macht eine der großen Lücken im Argumentationsgang deutlich. Die Unklarheiten wenn von Ausbeutung gesprochen wird. Ausbeutung der Natur, Ausbeutung des Menschen, was wird genau darunter verstanden, wie kommt es dazu und wer profitiert davon.
Vorstellung der Ausbeutung von Mensch und Natur, Übertragung von Wert, ungleicher Tausch
Wie wir oben gesehen haben gehen die Autoren davon aus, dass die imperiale Lebensweise durch die globale Ausbeutung von Mensch und Natur ermöglicht wird. Das wird in ihren Buch immer wieder festgestellt, aber nie ausführlich erläutert. Sie sprechen mehrmals von der Übertragung von Arbeit aus dem globalen Süden in den globalen Norden. Anscheinend gehen sie davon aus, dass diese Übertragung von Arbeit (und Wert) durch den Export von Waren in diese Richtung zustande kommt. Das könnte vor allem dann geschehen, wenn der Handel von der Peripherie ins Zentrum durch ungleichen Tausch geprägt wäre. Ungleicher Tausch nicht als Möglichkeit oder Ausnahme, sondern als dominierendes Prinzip.
Eine andere Möglichkeit wäre, dass der materielle Warenwohlstand in den Zentren in erster Linie auch dort produziert wird. Der Schlüssel könnte die hohe Produktivität in den Zentren sein, die aufgrund der hohen organischen Zusammensetzung des Kapitals erreicht wird. Neben der technischen und sonstigen Qualifikation der Arbeiter. Diese Möglichkeit wird von den Autoren überhaupt nicht in Betracht gezogen. Überhaupt spielen für die Autoren Fragen der Produktivität, der davon abhängigen Lohnentwicklung, der dadurch bedingten Austauschverhältnisse von Waren und dergleichen ( wie ökonomische Fragen überhaupt) praktisch keine Rolle. Dies erstaunt auch deshalb weil es zu allen diesen Fragen eine umfangreiche (linke) Literatur gibt.
Frage nach der ungleichen Entwicklung im Kapitalismus und dessen Folgen
Dazu im Zusammenhang ist auch das Fehlen einer Auseinandersetzung mit der Frage nach der ungleichen Entwicklung von Ländern bzw. Nationalstaaten im Kapitalismus, ihren Ursachen und ihren Folgen festzustellen. Die Einschätzung der Entwicklung Chinas (jetzt semi-imperial) und der Mittelschichten in den Schwellenländern legt nahe, dass für die Autoren eine Entwicklung (Entfaltung der Produktivkräfte) automatisch mit der Integration in die imperiale Lebensweise gekoppelt ist. Aber wie gesagt, es gibt dazu keine ausführliche Analyse. Es gibt kein Konzept, welchen Weg bisher nicht entwickelte Gesellschaften bei ihrer zukünftigen Entwicklung einschlagen könnten oder sollten.
Zugegeben, ungleicher Tausch ja oder nein, bzw. in welchen Ausmaß und die ungleiche Entwicklung in der kapitalistischen Welt mit ihren Implikationen sind riesige Themen, die in einer Veröffentlichung nicht in ihrer ganzen Bandbreite behandelt werden können. Richtig ist aber auch, dass diese Themen für das Buch von zentraler Bedeutung sind. Deshalb ist es wirklich unbefriedigend, wenn klare Aussagen fehlen und in der Argumentation von irgendwelchen stillschweigenden aber unklaren Voraussetzungen ausgegangen wird.
Hebt die imperiale Lebensweise die Klassengegensätze auf ?
Hoch problematisch ist auch die Darstellung von Brand/Wissen in Hinsicht auf die Klassenverhältnisse. Es stimmt, sie weisen mehrmals darauf hin, dass diese bei jeder Analyse berücksichtigt werden müssten und sie erwähnen auch die in den letzten Jahren zunehmenden Ungleichheit in den kapitalistischen Zentren. Aber bei im Kern ihrer Argumentationslinie gehen sie davon aus, dass historisch die imperiale Lebensweise im 16 Jahrhundert bereits existierte aber noch auf einen sehr kleinen Kreis von Personen beschränkt war, offensichtlich Angehörigen der herrschenden Klassen. In den folgenden Phasen der kapitalistischen Entwicklung hätte sich nicht viel geändert, aber in der Phase des Fordismus wären breite Schichten der subalternen Klassen in die imperiale Lebensweise einbezogen worden. Was soll diese Aussage bedeuten ? Ist dadurch der Klassengegensatz zwischen Kapital und Arbeit aufgehoben ?, vielleicht nicht ganz aufgehoben aber nebensächlich im Vergleich zum Gegensatz Zentrum Peripherie geworden ? Wie ist die Arbeiterklasse in den kapitalistischen Zentren einzuschätzen ? Hat sie überhaupt noch eine Bedeutung ? Für Brand/Wissen anscheinend nicht besonders, denn sie spielt in ihrem Buch keine Rolle. Ist überhaupt der Befund von den einheitlichen Konsumnormen der imperialen Lebensweise empirisch zutreffend ? Einheitliche klassenübergreifende Konsumnormen sind stark zu bezweifeln, aber die Autoren gehen dieser Frage nicht explizit nach. Ihre Aussagen beziehen sich anscheinend auf die Konsumgewohnheiten eines nicht näher definierten großen Teils oder eines Durchschnitts.
Richtig ist natürlich die Feststellung der großen Veränderungen der sozialen Lage der subalternen Klassen in der Phase des Fordismus (über die Periodisierung als solche soll hier nicht diskutiert werden). Klar ist die erhebliche Zunahme des materiellen Wohlstands und der Konsummöglichkeiten, aber auch soziale Absicherungen, Arbeitszeitverkürzungen (40 Stunden Woche), verbesserter Zugang zur Bildung usw.. Offensichtlich sind auch die Folgen für Klassenbewusstsein und Politik, wie die verbreitete Zustimmung zu verschiedenen Spielarten der Sozialpartnerschaft und des Korporatismus. Dies ist aber alles nicht neu und wird schon seit langen, mit allen Problemen und Folgen, die sich daraus ergeben, diskutiert. Auch wenn niemand ein Patentrezept hat wie der Korporatismus überwunden werden könnte und es ein solches wahrscheinlich auch nicht gibt. Unter Linken war bisher Konsens und sollte es auch bleiben: Der Gegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital ist durch die Veränderungen des Fordismus nicht aufgehoben, auch nicht ansatzweise. Deshalb sollte er auch ein entscheidender Punkt für alle strategische Überlegungen bleiben.
Setzt die Überwindung der imperialen Lebensweise die Abschaffung des Kapitalismus voraus ?
Ziemlich am Anfang des Buches kurz nach der Einführung des Begriffs imperiale Lebensweise postulieren die Autoren: die „Überwindung der imperialen Lebensweise als Voraussetzung der sozial-ökologischen Transformation“ (S 41). Wie die Überwindung der imperialen Lebensweise erreicht werden könnte, wird dann im folgenden nicht mehr so klar gesagt. Und Insbesondere wird nicht klar gesagt, ob dies nicht auch die Überwindung, die Abschaffung des Kapitalismus bedeuten müsste, als Voraussetzung oder gleichzeitig mit der Entfaltung einer solidarischen Lebensweise. Etliche Ausführungen im Buch legen diese Schlussfolgerung eigentlich nahe. An vielen Stellen wird imperiale Lebensweise gesagt, wo man auch Kapitalismus sagen könnte oder eigentlich sagen müsste. Aber eine klare Stellungnahme zur Überwindung des Kapitalismus gibt es nicht. Im 8 Kapitel wird keine antikapitalistische Strategie entwickelt, auch nicht als langfristiges Ziel. Brand/Wissen beziehen sich auf die Hegemonie nach Gramsci, die Herrschaft und Zustimmung umfasst. Die Frage, wer, wie die Herrschaft brechen könnte, wenn die Zustimmung aufgrund der offensichtlicher werdenden Widersprüche schwindet, stellen sie nicht. Aber ein Brechen der Herrschaft wird notwendig sein. Die Vorstellung das Kapital und die besitzenden Klassen könnten die Vorherrschaft, über die globale Produktion und Reproduktion, die ja wohl auch die Basis für die imperiale Lebensweise ist, einfach so aufgeben ist illusionär. Weil die Autoren diese zentrale Frage nicht thematisieren, können sie hier auch nicht überzeugen.
Das scheint eines der Grundprobleme dieses Buchs zu sein. Es führt mit der imperialen Lebensweise einen neuen Begriff ein und schreibt diesen Bedeutungen zu, die weder theoretisch noch empirisch ausreichend fundiert werden können. Was eine interessante Studie zur Entfaltung und Veränderung des Konsumverhalten und der damit verbundenen Subjektivitäten im Umfeld und in Abhängigkeit der kapitalistischen Zentren hätte sein können, lädt sich durch die Behauptung, damit einen Schlüssel zum Verständnis des Weltganzen zu liefern, einen Anspruch auf, den es nicht einlösen kann. Der Anspruch kann deshalb nicht eingelöst werden, weil wichtige Themen, die zum beanspruchten Kernbereich gehören, wie ungleicher Tausch, ungleiche Entwicklung oder Ausbeutung nicht ausreichend analysiert werden, sondern nur behauptet, angedeutet oder stillschweigend vorausgesetzt werden. Dadurch wird das Unterfangen selber problematisch, mit der Gefahr unklaren, ja falschen Vorstellungen Vorschub zu leisten.
Literatur:
Ulrich Brand/Markus Wissen, Imperiale Lebensweise: Zur Ausbeutung von Mensch und Natur in Zeiten des globalen Kapitalismus, München 2017